Donnergrollen: Der fünfte Fall für Jan Swensen (German Edition)
sind die
anderen nicht unpünktlich.
Ein Motorengeräusch
lässt ihn hoffen. Ein blauer GM biegt in den Totengang. Das sind nicht die Kollegen.
Es gibt kaum Parkplätze in der Gasse, aber die junge Frau am Steuer manövriert den
Wagen gekonnt in die erstbeste Lücke. Dann steigt sie zusammen mit einer älteren
Frau aus dem Fahrzeug. Beide sind schwarz gekleidet. Swensens Blick verfolgt die
auffällig durchtrainierte Gestalt der Jüngeren, die Jeans und ein langärmliges Top
trägt. Die Ältere hat eisengraue Haare, ihr knielanges Kleid ist schlicht geschnitten.
Die beiden holen zwei Blumengestecke aus dem Kofferraum und gehen weiter zum Haupteingang
des Friedhofs. Ein Blick zum Nummernschild zeigt ihm, dass sie Däninnen sind. Der
Kriminalist sieht ihnen hinterher, bis sie sich in die Schar der Trauergäste einreihen.
Er entdeckt Oberkommissar Mielke und Hauptkommissarin Haman, winkt und eilt zu ihnen
hinüber. Gemeinsam marschieren sie über den Sandweg zur Kapelle. Als sie ankommen,
sind die Türen für die Trauerfeier bereits geschlossen. Gedämpfte Orgelmusik dringt
nach draußen. Jetzt heißt es erst einmal wieder warten.
In den letzten
Tagen hat der Hauptkommissar für sich festgestellt, dass seine Lebensgeschichte
einige Parallelen mit der des Mordopfers Eschenberg aufweist. Der Mann war noch
sehr jung von Zuhause abgehauen, weit weg, bis nach Hawaii, nur um zu surfen. Er
selbst hatte sich in dem Alter wahrscheinlich ähnlich gefühlt, hatte die biedere,
gediegene Atmosphäre der Kleinstadt Husum gehasst. Er wollte nur weg, ging nach
Hamburg, um Philosophie zu studieren, und landete mitten in der Studentenbewegung.
Unter den Talaren der Mief von 1.000 Jahren. Philosophen haben die Welt nur verschieden
interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern. Große Worte, zu groß für einen
Kleinstädter. On the road again! In die Schweiz, das Schweigen erlernen in einem
buddhistischen Kloster.
Der junge
Eschenberg dürfte vergleichbare Gefühle gehabt haben, nur um einiges dramatischer.
Er hatte alle Wurzeln zum Elternhaus gnadenlos gekappt. Das macht die Ermittlungen
in diesem Mordfall besonders schwierig, grübelt der Hauptkommissar. Mutter und Vater
können über sein bisheriges Leben so gut wie gar nichts sagen, wussten über Jahre
nicht, auf welchem Flecken der Welt sich ihr Sprössling gerade aufhält. Die enge
Beziehung, die der Großvater zu seinem Enkel gehabt haben soll, hat dieser, trotz
häufiger Geldzuwendungen, wohl nie wirklich erwidert. In Oleander Eschenbergs Welt
lassen sich keine Schnittstellen zu seiner Familie aufspüren. Die Tatwaffe bleibt
ambivalent. Eigentlich deutet sie auf eine Beziehungstat im engsten Familienkreis
– doch dort gibt es keine Beziehungen. SOKO Hai tritt auf der Stelle. Selbst wenn
wir alle seine Freunde ausfindig machen, wir können nicht in der Weltgeschichte
herumfahren, um sie zu befragen. Es sei denn, sie geben ihm die letzte Ehre, und
wir treffen sie hier alle an.
So ist es
geplant, an diesem Tag möchte Jean-Claude Colditz das Blatt wenden. Alle Beamten
richten ihre Augen auf das heutige Beerdigungszeremoniell. Der Chef der SOKO hofft
auf Ergebnisse bei dieser Trauerfeier, glaubt, unter den Gästen unbekannt gebliebene
Zeugen zu entdecken. Es muss sie doch geben, Menschen, die Eschenberg näher gekannt
haben.
Die Worte der Trauerrede, die in
der Kapelle gesprochen werden, kann Swensen nur als monotones Gemurmel wahrnehmen.
Silvia und Stephan stehen weiter abseits unter einem Baum und flüstern miteinander.
Der Hauptkommissar spürt die warme Sonne, schließt genussvoll die Augen und betritt
sein Gedankenkino, um die Wartezeit zu verkürzen. Er reist nach Eckernförde, zum
Bundeswehrstandort der Marinetaucher. Den Satz »Das halte ich für unnütz!« im Gepäck.
Niemand in der SOKO ist der Meinung, dass der ehemalige Wirkungsbereich von Fregattenkapitän
Kreuzhausen im Zusammenhang mit dem Mordfall steht. Aber Troja wurde auch nur entdeckt,
weil Schliemann an der Stelle gegraben hat, die er in Homers Ilias gefunden hatte.
Und Froschmänner benutzen nun einmal Harpunen, so simpel ist das.
»Froschmänner?
Sie meinen sicherlich die ›Verwendungsreihe 3.402‹, Herr Hauptkommissar. So nennt
man hier bei uns die Kampfschwimmerkompanie«, berichtigt Korvettenkapitän Peter
Degenhardt, nachdem sich Swensen nach Froschmännern erkundigt hat.
»Werden
in der Truppe Gas- oder Druckluft-Harpunen verwendet?« Der Kriminalist erntet erneut
ein süffisantes
Weitere Kostenlose Bücher