Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
Schnapsflaschen, aber ohne Zapfhähne – im Fetten Hecht wurde ausschließlich Flaschenbier getrunken. Eine Küche gab es übrigens auch nicht, die hatte Walburga vor Jahren geschlossen. Seitdem versorgte sie ihre Gäste mit Knabberzeugs. Auf Kosten des Hauses, die einzige Attraktion des Fetten Hechts. Neben dem Tipp-Kick-Tisch hinten in der Ecke.
Es stand 13:3 als Schatten endlich eintraf. Schatten war Ire und hieß eigentlich Seamus Brothaigh Donnchadh O’Shady, aber das war für den durchschnittlichen Oer-Erkenschwicker sprachlich nun wirklich nicht zu bewältigen. Deswegen nannte ihn jeder nur Schatten. Bis auf Schatten selbst, der sich natürlich weiterhin Seamus Brothaigh Donnchadh O’Shady nannte. Wipperfürth nickte ihm zur Begrüßung zenmäßig karg zu, bevor er den Ball mit der Emotionslosigkeit eines Kendo-Meisters an Siebeneisens Torhüter vorbei links oben in den Winkel zimmerte. Schatten war völlig außer Atem und schwitzte fürchterlich, kleine Rinnsale suchten sich aus den Haaren heraus eine passende Bahn über die Stirn. Die zweihundertfünfzig Meter von seiner Wohnung bis zum Fetten Hecht und vor allem die vier Treppenstufen hinauf zur Eingangstür setzten ihn immer kurzzeitig außer Gefecht, aber dieses Mal schien es schlimmer als sonst zu sein. Schatten sah aus, als sei er unterwegs wiederbelebt worden. Er japste kurz auf und ließ sich auf einen Stuhl fallen, der dabei verdächtig ächzte. Hinter ihrem Tresen zog Walburga die Stirn kraus. Siebeneisen steckte seinen fingergroßen Tipp-Kick-Spieler in die Hosentasche und warf Wipperfürth den gewonnenen Euro zu.
»Und? Wie war’s in der Heimat? Hattest du ’ne schöne Beerdigung?«
In der Woche zuvor hatte Schatten erfahren, dass eine seiner Verwandten verstorben war, die seit prähistorischen Zeiten in einem alten Bauernhof irgendwo an der irischen Küste hauste. Seine Trauer hielt sich in Grenzen, die gute Frau war beinahe hundert geworden und genealogisch nur über äußerst verschlungene Pfade mit ihm verwandt. Gesehen hatte Schatten Großgroßtante Claire zuletzt in den Sechzigern, als er ungefähr fünf gewesen war. Aber, wie das bei Iren nun mal so ist, Familie ist Familie, da fuhr man zur Beerdigung. Und sei es nur, um die 78 Cousins und Cousinen wiederzusehen, die man ebenfalls nicht mehr getroffen hatte, seit man ungefähr fünf gewesen war. Also war Schatten vor drei Tagen nach Irland geflogen. Und so wie er heute aussah, war er vom Friedhof sofort in den Pub, aus dem Pub direkt in den Flieger und aus dem Flieger direkt hierhergekommen. Irgendwie waren die Iren zu beneiden, dachte Siebeneisen: Wenn es zu Ende ging, machten sie selbst aus Beerdigungen hochprozentige Spektakel. Er konnte sich gut vorstellen, wie diese Trauerfeier abgelaufen war, er sah sie gewissermaßen vor sich, die 78 Cousins und Cousinen, wie sie zuerst auf die Himmelfahrt der verstorbenen Tante angestoßen hatten und anschließend auf jeden einzelnen O’Shady bis zurück in die Zeit der großen Kartoffelmissernte. Mindestens.
»Es gibt News«, sagte Schatten unvermittelt.
Siebeneisen ließ den Gedanken an Cromwells randalierende Soldateska und klamme Katen voller ängstlich schreiender Gören irgendwo im Kleinhirn weitermäandern. Er sah Schatten an. Wipperfürth sah Schatten an. Schatten sah sie an.
»Ich habe geerbt.«
Es gibt Fragen, die nach bestimmten Sätzen auf der Hand liegen. Die obligatorisch sind, gewissermaßen fest verknüpft mit der Aussage vor ihnen. Erzählt jemand von einem Unfall, ist ein »Ist dir was passiert?« die einzig mögliche Replik. Auf die Mitteilung »Wir haben Nachwuchs« fragt man selbstverständlich, ob es sich um einen Jungen oder ein Mädchen handelt. Und wenn jemand sagt, er habe geerbt, dann fragt man ihn sofort, wie viel, etwas anderes geht da gar nicht. Es sei denn, der Erzähler sieht aus, als könne er jeden Moment kollabieren. So wie Schatten gerade. Selbst Wipperfürth erkannte, dass etwas nicht stimmte. Normalerweise hätte er in so einem Moment etwas wie »Irdisches Gut verbaut den Weg ins Nirwana« gesagt oder eine andere seiner Instant-Karma-Weisheiten abgerufen – stattdessen ging er zum Tresen, ließ sich von Walburga ein Glas Wasser geben und brachte es Schatten. Und Schatten trank und schnaufte und erzählte, wie er zum Testamentsvollstrecker gerufen worden war und wie der ihm eröffnet hatte, dass er, Seamus Brothaigh Donnchadh O’Shady, bedacht worden sei. Zusammen mit sieben anderen, deren Namen
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