Donnerstags im Fetten Hecht: Roman (German Edition)
Schatten noch nie gehört hatte. Und von denen keiner auf der Beerdigung erschienen war.
»Eigentlich waren es ursprünglich sogar acht, aber einer ist vergangene Woche verstorben.«
»Um Himmels willen. Nicht, dass das in eurer Familie jetzt um sich greift. War der auch so alt wie deine Großgroßtante?« Siebeneisen zog sich einen Stuhl heran und setzte sich neben den immer noch schnaufenden Schatten.
»Keine Ahnung. Der lebte in Indien. War wohl so eine Art Guru.«
»Dann war er sehr alt.« Natürlich kannte Wipperfürth sich auch bei den Indern aus, nicht nur bei den Japanern. Er hielt sich die gefalteten Hände vor die Stirn, winkelte das rechte Bein an und legte die Sohle seines rechten Fußes an die Wade des linken Beines, wahrscheinlich eine Yogafigur.
»Ist doch auch völlig egal.« Siebeneisen wollte jegliche Diskussion über die Unterschiede zwischen japanischen und indischen Meistern beenden, noch bevor sie überhaupt begann. Er warf Wipperfürth einen bösen Blick zu. Wipperfürth entknotete sich.
»Großgroßtante Claire war eine Gerechtigkeitsfanatikerin.« Schatten ignorierte Wipperfürths Gymnastik komplett. Er trank einen winzigen Schluck Wasser. »Sie hat keinen von ihren Lieblings-Großgroßneffen und Lieblings-Großgroßnichten bevorzugen wollen. Deswegen wird das Erbe auch nur dann ausgezahlt, wenn wir alle acht zustimmen. Und alle gemeinsam zu ihrem Nachlassverwalter kommen. Nach Dublin.«
»Na ja, Dublin ist so weit weg ja nicht, das dürfte wohl nicht allzu schwierig werden«, meinte Siebeneisen. Wipperfürth nickte zenmäßig.
»Im Prinzip ja. Leider hat man von keinem meiner sieben Miterben eine Adresse oder eine Telefonnummer oder sonst irgendetwas. Niemand weiß, wo die sich aufhalten oder was sie machen. Ich bin sozusagen der Einzige, der zurzeit auffindbar ist. Deswegen soll ich jetzt die sieben anderen O’Shadys finden.
»Und wenn du das nicht kannst?«, fragte Wipperfürth.
»Oder nicht willst?«, fragte Siebeneisen.
»Wird Großgroßtante Claires Geld an eine Stiftung ausgezahlt. Irgendwas mit Gärten und Rosen.«
Schatten schwieg. Er sah alles andere als glücklich aus. Einen Dummen finden sie immer, dachte Siebeneisen. Er stellte sich Schatten vor, wie er in den kommenden Wochen und Monaten vor dem Laptop saß und Adressen googelte. Möglicherweise würde er auch die eine oder andere Reise unternehmen müssen, das würde ein völliges Fiasko werden. Schatten war grotesk übergewichtig, Siebeneisen vermutete, dass er so viel wog wie ein pubertierendes Nilpferdjunges. Den Trip nach Irland hatte er nur antreten können, weil Wipperfürth ihn quasi bis zur Gangway geschleppt hatte und ihn auf der anderen Seite des Fluges drei Dubliner Cousins in Empfang genommen hatten – allein hätte Schatten das gar nicht erst versuchen müssen. Selbst kleinste Aktivitäten führten bei ihm zu Schweißausbrüchen und Schnappatmung, und wenn er erst einmal zu schwitzen und zu keuchen begonnen hatte, löste das in seiner unmittelbaren Umgebung dementsprechende Reaktionen aus. Ein keuchender Schatten ließ Umstehende erstarren. Kichernde Jugendliche verstummten, Mütter zogen ihre Kinder zu sich heran, besorgte Männer sahen sich nach dem nächsten Defibrillator um. Siebeneisen versuchte, das Bild eines Rettungsarzteinsatzes am Frankfurter Flughafen zu verdrängen. Da kommt was auf den Armen zu, dachte er. Vor allem, weil es irische O’Shadys wahrscheinlich in ähnlicher Reichhaltigkeit gab wie deutsche Schmitzens und Müllers. Die allerdings waren in der Regel brav zu Hause auf ihrer Scholle geblieben, während die O’Shadys mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Welt hinaus emigriert waren. Wie hieß es so schön? Wo immer man in der Welt ankommt, sind drei Menschentypen schon vor einem da: chinesische Geschäftsleute, Jehovas Zeugen – und irische Auswanderer. Die Iren waren überall. Die O’Shadys also wahrscheinlich auch.
»Von Sheila O’Shady wusste der Nachlassverwalter immerhin, dass sie in Australien lebt.«
Schatten schien es langsam besser zu gehen. Er atmete nun halbwegs ruhig.
»Aha. Australien.« Siebeneisen kannte sich dort nicht aus, vermutete allerdings, dass einen eine solche Standortangabe im Falle des Falles nur sehr unwesentlich weiterbringen würde.
»Er hat herausgefunden, dass sie mit einem Boxzirkus im Outback unterwegs ist«, sagte Schatten, »die reisen von Ort zu Ort und treten am Wochenende gegen die Lokalmatadoren in einer Art Zirkuszelt
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