Doppelgänger
»Der Sergeant ist dafür ausgebildet, Hinweise und Spuren auszuwerten. Sollen wir ihm die Sache vortragen und sehen, was er daraus schließt?«
Nach kurzem Zögern nickten die anderen. Und noch während Branksome sich fragte, warum sie ihn als Schiedsrichter ihrer Streitfrage erwählt hatten, erkannte er an ihren Gesichtern das Gefühl, das sie alle beherrschte: Nackte Angst!
20
Ohne auf Branksomes Zustimmung zu warten, drängte Tom ihn und die anderen zu einer Tür, über der ein Schild mit der Aufschrift HAUPTLABORATORIUM hing. Er stieß sie auf, und sie traten in einen Raum, dessen Wände mit Regalen bedeckt waren, in denen Gläser mit verschiedenen Reagenzien, Proben von Fisch- und Austernlaich und mehrere Mikroskope und andere Instrumente standen.
Auf einem langen Tisch mit einer Plastikplatte in der Mitte des Raums lag der Fisch, den Fleet ihnen gebracht hatte. Sein Bauch war der Länge nach aufgeschnitten, einige der inneren Organe waren herausgetrennt und in Schalen gelegt worden, so dass die skelettale Struktur freigelegt war.
»Wissen Sie etwas über die Anatomie von Fischen?« fragte Tom den Sergeanten.
Branksome zögerte. »Ich habe während der Biologiestunden in der Schule einiges darüber gehört«, sagte er schließlich, »doch das ist schon eine Weile her.«
»Aber Sie können sich bestimmt noch an die verschiedenartigen Schwanzformen von Fischen und Meeres-Säugern erinnern, nicht wahr?«
»Ja … ich denke schon. Fische haben Schwanzflossen, und Wale haben Fluken, ist das richtig?«
»Sehr gut. Nun sehen Sie sich dieses Ding an! Der vordere Teil ist zweifellos ein Fisch, aber der hintere nicht – sehen Sie?« Und als Branksome verwirrt nickte, fuhr er fort: »Bei den inneren Organen ist es genauso. Sehen Sie diese Gruppe von Knochen hier? Das ist ein Becken mit zwei rudimentären Beinknochen, die bis in die Fluken reichen! Und vor allem: der Heilbutt gehört zu den Teleostei – aber sehen Sie hier!«
Er nahm ein Skalpell zur Hand und stieß es in einen freigelegten Knochen. Es sank einen Zoll tief ein.
»Weich, knorpelig!« rief er. »Aber Teleostei sind echte Knochenfische; ihr Skelett ist fast so hart wie das eines Menschen.«
»Ich fürchte, ich kann Ihnen da nicht ganz folgen«, sagte Branksome.
»Manche Fische haben ein knorpeliges Skelett«, half Netta aus. »Das sind die Elasmobranchii oder Plattenkiemer – wie Haie, zum Beispiel. Ein Heilbutt jedoch – und das wäre dieser, wenn Kopf und Kiemen als Richtlinie genommen werden könnten – hat ein Knochenskelett.«
»Jetzt verstehe ich«, nickte Branksome. »Aber …« Er schluckte. »Aber war es nicht dies, was Sie in Ihrem Tank gefunden haben, Mr. Fleet?«
Fleet nickte unglücklich. »Bitte fragen Sie mich nicht, wie es geschehen konnte, Sergeant. Falls nicht jemand die Leiche der Frau während der Nacht herausgeholt und durch diesen Fisch ersetzt hat, begreife ich nicht, wie er in unseren Tank gekommen sein könnte.«
»Haben Sie den Tank während der Nacht bewachen lassen?« fragte Branksome.
»Ja, natürlich. Ich habe Hedges damit beauftragt, und das ist ein sehr zuverlässiger Mann. Schließlich war er es, der die Frau entdeckt hat.«
»Ob es möglich war oder nicht«, sagte Netta, »welchen Grund sollte jemand haben, eine so gefährliche Arbeit durchzuführen, wie eine tote Frau gegen diesen unmöglichen Fisch auszutauschen?«
»Aber dann …« Branksome sprach den Satz nicht zu Ende.
»Sprechen Sie weiter«, seufzte Dr. Innis. »Ich glaube zwar nicht, dass mir das, was Sie sagen wollen, gefallen wird, doch ich sehe mich vermutlich gezwungen, Ihnen zuzustimmen.«
»Ich wollte sagen, wenn es unmöglich war, einen Austausch vorzunehmen«, murmelte Branksome, »dann muss es dieses Ding gewesen sein und keine Frau, die gestern in den Tank gesprungen ist.«
Die anderen tauschten beunruhigte Blicke. »Ich fürchte, dass Sie recht haben«, sagte Tom. »Und wenn Mr. Dunstable nicht heute vorbeigekommen wäre, um uns seinen Film zu zeigen, hätte ich es schlichtweg als absoluten Unsinn erklärt. Aber – kommen Sie in mein Büro. Wir haben den Projektor aufgestellt. Wir haben den Film schon zweimal gesehen, bevor Sie erschienen. Er ist alarmierend, um es gelinde auszudrücken.«
In dem kleinen Büro lagen Stapel von Dokumenten und Akten auf den Regalbrettern, daneben wissenschaftliche Zeitschriften wie The Oceanographer und Marine Biology Abstracts. Rory übernahm die Bedienung des Projektors.
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