Doppelkinnbonus: Gesamtausgabe (German Edition)
Zeit für mich. Ich hatte etwas Großartiges aufs Spiel gesetzt für einen One-Night-Stand mit einer Frau, die ich kaum kannte.“
„Ein One-Night-Stand?“ Seine Offenheit überrascht mich, macht mich jedoch umso neugieriger. „Das hätte ich einem wie dir gar nicht zugetraut.“
„Einem wie mir?“ Er lacht. „Du meinst, weil ich heute verheiratet und glücklicher Familienvater bin?“
„Sozusagen.“
Ich denke an das Foto, das er mir nach unserer zweiten Probe gezeigt hat. Diana, der kleine Eddie und er. Dasselbe Haar. Dieselben Grübchen.
„Damals war ich noch nicht so wie heute“, sagt er. „Ich war Ende Zwanzig und hielt mich für den absoluten Überflieger, nur weil hin und wieder einer der weiblichen Fans an der Bühne auf mich wartete. Wir waren eine reine Männerband und hatten bis auf die Noten von ‚Satisfaction‘ nur wenig Sinnvolles im Kopf.“
„Und du warst damals schon mit Diana zusammen?“
„Ja. Wir kennen uns seit der Schulzeit. Eine Sandkastenliebe sozusagen. Sie war ein Teil meines Lebens, solange ich denken kann.“ Er zieht eine Zigarette aus seiner Jackentasche. „Vielleicht war das auch der Grund, dass ich sie als selbstverständlich betrachtet habe. Ich dachte, sie würde mir alles verzeihen. Und im Optimalfall vielleicht auch gar nichts davon mitbekommen.“
„Von deinen Seitensprüngen?“
„Es war nur einer, aber der hat gereicht, um mein gesamtes Leben zu ruinieren.“
„Verstehe.“
Ich schaue ihm wortlos dabei zu, wie er die Zigarette anzündet und daran zieht.
Ein Zug, zwei Züge. Verfluchtes Nikotin. Ob es dazu gehört, wenn man in einer Band ist?
„Und wie hat sie davon erfahren?“, frage ich.
„Ich hab’s ihr gesagt. Noch am selben Abend. Ich habe mich geschämt und konnte mein schlechtes Gewissen nicht ertragen. Im Grunde wollte ich, dass sie mir noch am selben Abend verzeiht.“
„Und da hat sie dich vor die Tür gesetzt.“
„Noch viel schlimmer. Sie ist damals nach Dortmund gegangen. Hat einen Job in der Boutique ihrer Schwester angenommen.“
„Und dann?“
„Ich bin ihr hinterher gefahren, habe immer wieder vor ihrer Tür gestanden, habe sie angerufen.“ Er hält für einen kurzen Moment inne. „Und ich habe diesen Song geschrieben.“
Ich schaue auf die Zeilen vor mir, die plötzlich eine völlig neue Bedeutung bekommen.
„Und das hat sie überzeugt?“
„Nicht sofort, aber ich glaube, dass das damals der Auslöser war, zumindest in Erwägung zu ziehen, mir zu verzeihen.“
Ich nehme den Zettel in die Hand. „Das kann ich verstehen. Der Text ist wirklich wunderschön. Schlicht, und doch voller Tiefe.“
Karsten lächelt und nimmt einen weiteren Zug von seiner Zigarette. Anstelle von Linda Ronstadt erklingen mittlerweile die Everly Brothers aus dem Nebenzimmer.
„Ein Grund mehr, dass du ihn selbst singen solltest“, sage ich. „Wir könnten auch eine Art Arbeitsteilung machen. Ich übernehme die Coversongs und du diese Nummer. Diana wird doch auch im Publikum sitzen, oder?“
„Das wird sie, aber das Singen überlasse ich dann doch lieber dir.“ Er greift nach einer halbleeren Bierflasche. „Abgesehen davon glaube ich, dass der Song auch dir aus der Seele spricht.“
„Wie meinst du das?“
Ich spüre das Blut in meinen Kopf wandern. Unweigerlich versuche ich, mich zu erinnern, ob ich die Sache mit Alex je in Gegenwart der Jungs erwähnt habe.
„Ich kenne dich zwar erst seit ein paar Wochen“, fährt er fort. „Aber glaube mir, ich kenne diesen Blick, wie du ihn hast.“
„Diesen Blick? Wann habe ich diesen Blick?“
„Immer. Wenn wir traurige Balladen covern. Wenn wir Texte analysieren, die von Liebe handeln. Und jetzt. Jetzt in diesem Moment.“
Ich senke den Blick.
„Er wird heute Abend nicht hier sein, oder?“
„Nein“, antworte ich leise. „Nicht er .“
„Habt ihr noch Kontakt?“
„Im Moment nicht. Aber das habe ich selbst so entschieden. Wir konnten uns bei den Grundprinzipien einer Beziehung einfach nicht einig werden.“
„Und deshalb hat er dich verlassen?“
„Ich habe ihn verlassen. So schwer es auch war, es war die einzige Lösung für unser Problem.“
Er schweigt.
Im Grunde muss er auch nichts sagen. Weder jetzt noch später.
„Ich treffe mich mit jemand anderem“, sage ich nach einer Weile. „Jemand, der mir guttut und mich so nimmt, wie ich bin.“
„Der Typ, den du vorhin an der Bar begrüßt hast?“
„Ja. Der Blonde. Der etwas Fülligere neben der redseligen
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