Doppelkinnbonus: Gesamtausgabe (German Edition)
Lächeln die Hand. „Und zwar mit genau dem Typen, der plötzlich wieder in deinem Leben aufgetaucht ist. Das ist deine Chance, es besser zu machen. Ist dir das nicht klar? Nicht jeder hat das Glück, aus seinen Fehlern zu lernen.“
Ich stehe auf und stelle mich vor dem Spiegel, während ich das Top mit prüfendem Blick vor meine Brust halte. „Kann schon sein.“
„Kann nicht nur sein. Es ist so.“
„Trotzdem weiß ich noch gar nicht, wo Helge und ich stehen. Wir beide sind alt genug, um zu wissen, dass alles seine Zeit braucht. Und die nehmen wir uns. Punkt. Aus. Ende.“
„Von mir aus. Dann hoffe ich nur, dass du zwischen dem Punkt, Aus und Ende nicht vergessen wirst, ein Kondom einzustecken. Du weißt ja, dass man sich in Verhütungsfragen selten auf die Kerle verlassen kann. Es sei denn, du hast es mit der Familienplanung eilig.“
Ich beantworte ihren Kommentar mit einem Augenrollen. Mir fehlt die Energie für kluge Antworten. Vor allem aber die Zeit. Immerhin beginnt in weniger als einer Stunde die letzte Probe vor dem großen Auftritt am Freitag. Und der soll schließlich perfekt werden.
*
„ Weil im Grunde gar nichts zählt
Wenn der Grund für alles fehlt
Weil meine Hand nichts machen kann
Wenn sie nicht deine halten kann“
Ich streiche mit der Hand über das Papier und lese weiter.
„ Wenn nirgendwo ist
Da wo du bist
Dann will ich nirgendwo wirklich sein
Denn selbst in Mengen
Und Menschenmassen
Bin ich ohne dich ganz allein“
„Der Song scheint es dir besonders angetan zu haben, was?“ Karsten setzt sich neben mich auf die Bank. Aus dem Nebenraum dringt leise Barmusik. Irgendwas von Linda Ronstadt.
„Ich freue mich einfach, dass wir auch eine eigene Nummer singen werden“, antworte ich.
Er zwinkert mir zu. „Du meinst, dass du sie singen wirst.“
Ich lächle. „Aber es sind immerhin deine Worte. Willst du nicht wenigstens eine Strophe übernehmen? Ich glaube, dass ein Duett wirklich gut beim Publikum ankommen würde.“
„Wir wollen die Leute doch nicht gleich bei unserem ersten Auftritt verschrecken, oder?“
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass du wirklich so schlecht singst.“
„Schlecht vielleicht nicht.“ Er legt seine Beine auf einen Hocker neben der Bank. „Ich fühle mich nur einfach sehr viel wohler mit einer Gitarre in der Hand. Unauffällig im Hintergrund.“
„Wie du meinst. Ich hoffe, ich habe noch einige Auftritte Zeit, um dich zu überreden.“
Ich schaue zu Igor und Hardy herüber, die sich mit Benno, dem Kneipenbesitzer, unterhalten und dabei wichtigtuerisch vor einem Laptop stehen.
„Und? Schon aufgeregt?“ Karsten schaut auf die Uhr über der Toilettentür. „In nicht mal einer dreiviertel Stunde ist es soweit.“
„Ich hab ein bisschen Angst“, gebe ich zu. „Davor, dass die Leute vielleicht zu viel erwarten. Und davor, dass ich die Erwartungen nicht erfülle. Hier treten doch sicher auch sehr viel erfahrenere Sängerinnen auf.“
„Sicher. Aber das muss nicht zwangsläufig heißen, dass sie auch mehr drauf haben als du. Ich finde, für jemanden, der noch nie auf einer Bühne gestanden hast, machst du deine Sache wirklich verdammt gut.“
„Findest du?“
Schmeicheleien, aufrichtig oder nicht, können nur von Vorteil sein, ganz besonders bei Lampenfieber.
Ich schaue erneut auf den Zettel mit dem Text, der inmitten von Bierflaschen und Resten von chinesischem Essen auf dem Tisch vor mir liegt.
„Darf ich dich was fragen?“, beginne ich vorsichtig.
„Klar.“ Karsten schiebt die Hände in die Taschen seiner Jeansjacke. Seine Gelassenheit ist beinahe schon unheimlich. Sagte er nicht, dass er selbst das letzte Mal vor drei Jahren auf der Bühne gestanden hat? Darf man dann, selbst als erfahrener Gitarrist, nicht wenigstens ein ganz klein bisschen nervös sein? Vor allem, wenn man beabsichtigt, mit einer Sängerin die Bühne zu betreten, die nie zuvor vor Publikum gesungen hat. Wäre meine Blamage nicht irgendwie auch seine?
„Dieser Text, diese Zeilen ‚Weil im Grunde gar nichts zählt, wenn der Grund für alles fehlt‘ … sind die autobiografisch?“
„Alles, was ich schreibe, ist autobiografisch.“
„Tatsächlich? Und wie alt ist dieser Text?“
Er überlegt kurz. „Etwas über sieben Jahre.“
„Verstehe.“
Ich traue mich nicht, weiter nachzuhaken. Umso erleichterter bin ich, als er von selbst fortfährt.
„Damals hat mich meine Frau verlassen.“
„Diana?“
Er nickt. „Es war eine schlimme
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