Doppelkinnbonus: Gesamtausgabe (German Edition)
Weise.
Karstens Gitarre, Igor und sein Bass und die sanften Schläge von Hardy bilden eine vertraute Kulisse für meine Gedanken, die eins mit meinen Gefühlen geworden sind.
Die ersten Töne von „Here Comes The Sun“ erklingen und ich merke, dass ich langsam selbstsicherer werde. Irgendjemand im Publikum jubelt, während ich die Zeilen der ersten Strophe zum Besten gebe. Als im Refrain dann tatsächlich die ersten Zuschauer mitsingen, überkommt mich eine Gänsehaut.
Das ist sie, meine Bestätigung. Die Antwort auf die Frage, ob ich das wirklich kann.
Here Comes The Sun. Ja, scheinbar ist sie wirklich zurückgekehrt, die Sonne. Plötzlich hat alles einen Sinn. So simpel der Schritt auf eine schmucklose Bühne auch scheint, für mich ist es wie der Schritt in ein neues Leben. Das neue Leben, von dem ich die ganze Zeit rede. Das neue Leben, das ich seit Monaten zu beginnen versuche und das ich – so sehr ich mich auch um ein Vorwärtskommen bemüht habe – doch immer nur als Beobachter aus der hintersten Reihe betrachtet habe.
Jetzt, in diesem Moment, scheint sie tatsächlich wahr zu werden: Die Chance auf einen Neuanfang. Die Chance, mich selbst endlich als das zu sehen, was ich bin: Einen liebenswerten Menschen. Jemanden, der es verdient hat, ernstgenommen zu werden. Jemanden, der seinen Weg geht, ohne andere nach ihrer Meinung zu fragen.
Ich bin angekommen. Bei mir selbst – und bei dem, was ich mir selbst für das Leben wünsche. Und plötzlich scheint der Weg, den ich dafür gegangen bin, gar nicht mehr so viel mit den verlorenen Pfunden zu tun zu haben.
„Sun, sun, sun“, singt ein bierbäuchiger Mann am Fenstertisch lauthals mit und bringt mich damit unweigerlich zum Lächeln.
Nein, die Albert Hall ist es tatsächlich nicht.
Manchmal hat der Charme einer Eckkneipe jedoch seinen ganz eigenen Glamour, mit dem selbst der prachtvollste Palast nicht mithalten kann.
Erst als Karsten die ersten Akkorde von „Der Grund“ zu spielen beginnt, spüre ich, wie sich die Zuversicht in mir in einen Hauch von Wehmut verwandelt.
Leise fange ich an zu singen: „Wenn ich verzweifle, den Mut verlier’, dann nur, weil du nicht bei mir bist. Wenn ich mich schwer tu’, nach vorn zu sehen, dann nur, weil’s ohne dich so dunkel ist.“
Ich werfe Karsten einen flüchtigen Blick zu und sehe, dass er rüber zu Diana schaut, die mit einer Freundin an einem Tisch neben der Tür sitzt. Sofort tauchen Bilder von einem verzweifelten jungen Mann in meinem Kopf auf, der vor Dianas Fenster steht und um Vergebung winselt.
„Wenn andere reden“, singe ich weiter, „und diskutieren, dann hör’ ich selten wirklich zu.“
Karsten hatte recht. Auch mir spricht dieser Song aus der Seele. Für einen Moment ertappe ich mich sogar bei der Vorstellung, dass Alexander irgendwo im Publikum sitzt. Dass er mich heimlich aus der Ferne beobachtet und sich fragt, wie er das mit uns aufs Spiel setzen konnte.
Aber war es wirklich er, der es aufs Spiel gesetzt hat?
Ja. Natürlich. Ich habe einfach nur entsprechend reagiert. Im Grunde hatte ich gar keine andere Wahl. Trotzdem tut diese Erkenntnis meiner Wehmut keinen Abbruch. Das Publikum vor meinen Augen wird für einen Moment zur gesichtslosen Masse.
Ich lasse meine Stimme über die Worte wandern. „Weil im Grunde gar nichts zählt, wenn der Grund für alles fehlt.“
Irgendwo geht ein Feuerzeug an. Ein zweites, ein drittes – während meine Augen einen feuchten Schleier bekommen.
„Weil meine Hand nichts machen kann, wenn sie nicht deine halten kann.“
Kapitel 11: Ich kann es noch immer
„Baby, ich will ein Autogramm von dir!“ Veronika fällt mir geradezu hysterisch kichernd um den Hals. „Am besten direkt neben meinen Bauchnabel, damit ich es später eintätowieren lassen kann.“
Ich löse mich aus ihrer Umarmung. „Immer sachte bleiben, Süße. Es waren nur vierzig Minuten. Heb dir die Hysterie lieber für unser erstes richtiges Konzert auf.“
„Oh, glaub mir. Mein Vorrat an Hysterie ist grenzenlos.“
„Na, dann.“ Ich lasse mich auf den Platz neben Maik fallen, der mir brüderlich auf die Schulter klopft.
„Gut gemacht“, sagt er. „Hätte ich dir gar nicht zugetraut.“
Ich nicke ihm lächelnd zu, während ich meinen Blick zu Helge wandern lasse, der mir direkt gegenüber sitzt.
Wie selbstverständlich greift er über den Tisch hinweg nach meiner Hand und strahlt mich an. „Das war wirklich toll, Romy. Ich habe regelrecht an meinem Stuhl
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