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Doppelspiel

Doppelspiel

Titel: Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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fest in jede Backe. Dann stöhnte er anerkennend. Barbara reagierte nicht darauf, denn sie wurde gut dafür bezahlt, sich begrapschen zu lassen.
    Barbara schob den alten Mann zum Aufzug, und gemeinsam fuhren sie zum Schlafzimmer. Sie half ihm beim Ausziehen und achtete dabei sorgfältig darauf, nicht auf seinen eingefallenen Leib zu starren. Trotz all seines Geldes konnte der alte Mann Barbara nicht dazu zwingen, seine Nacktheit zu betrachten. Vor Jahrzehnten wäre das noch anders gewesen. Damals hätte sie ihn nicht nur angeschaut, sondern noch viel mehr für ihn getan … wenn sie denn hätte weiterleben wollen. Doch jetzt half sie ihm nur in seinen Schlafanzug, wie einem Baby. Und am Morgen würde sie ihn dann auch wieder wie ein Kleinkind waschen und füttern. Der Kreis hatte sich geschlossen. Von Wiege zu Wiege und schließlich ins Grab.
    »Setz dich zu mir, Barbara«, befahl der alte Mann. »Ich möchte dich anschauen.« All das sagte er auf Deutsch. Das war der andere Grund, warum er Barbara eingestellt hatte: Sie sprach seine Muttersprache. Das war in diesem Land inzwischen eine Seltenheit.
    Barbara setzte sich, schlug ihre langen, braun gebrannten Beine übereinander und legte die Hände in den Schoß, während sie den alten Mann gelegentlich anlächelte, denn dafür wurde sie bezahlt. Dabei sollte sie ihm dankbar dafür sein, dass sie hier arbeiten durfte, dachte der alte Mann, denn sie konnte entweder hier in diesem schönen Haus wohnen und sich einen Lenz machen oder ihren Körper auf den Straßen des nahe gelegenen Buenos Aires für ein paar Cent am Tag verkaufen.
    Schließlich winkte der alte Mann ab, und Barbara stand auf und schloss die Tür hinter sich. Der alte Mann lehnte sich auf den Kissen zurück. Barbara würde jetzt wahrscheinlich sofort in ihr Zimmer gehen, unter die Dusche springen und sich so hart wie möglich schrubben, um das ekelige Gefühl seiner Finger loszuwerden. Der Gedanke ließ den alten Mann leise lachen. Selbst in seinem jetzigen Zustand hatte er noch eine gewisse Wirkung auf die Menschen.
    Der alte Mann erinnerte sich noch lebhaft an die glorreiche Zeit, als er mit kniehohen Offiziersstiefeln in einen Raum marschiert war. Allein das Geräusch hatte schon Panik bei den Lagerinsassen erzeugt. Das war Macht gewesen. Jeden Tag hatte er das Privileg genossen, sich unbesiegbar zu fühlen. Alle seine Befehle waren ohne zu zögern ausgeführt worden. Auf sein Wort hin hatten seine Männer das Ungeziefer zusammengetrieben, und in langen, dreckigen Reihen waren sie mit gesenkten Köpfen vor ihm angetreten und hatten auf seine prächtigen Stiefel gestarrt und vor der Macht gezittert, die seine Uniform repräsentierte. Damals war er ein Gott gewesen und hatte über Leben und Tod entschieden. Dabei war es nicht wirklich ein Vorteil gewesen, am Leben gelassen zu werden, denn die Lebenden hatten die Hölle auf Erden ertragen müssen.
    Der alte Mann rutschte ein Stück nach links und drückte auf ein Paneel am Kopfende seines Bettes. Das Paneel schwang auf, und der alte Mann gab zitternd die Kombination des Safes ein, der sich dahinter verbarg. Dann holte er ein Foto heraus, lehnte sich wieder zurück und schaute es sich an. Es war auf den Tag genau vor achtundsechzig Jahren aufgenommen worden. In Gedanken war der alte Mann noch immer dort, auch wenn sein Körper ihn schon längst im Stich gelassen hatte.
    Auf dem Bild war er erst Ende zwanzig; trotzdem hatte man ihm bereits eine große Verantwortung übertragen, denn er war klug und gnadenlos gewesen. Er war groß und schlank gewesen und hatte hellblondes Haar gehabt, das im Zusammenspiel mit seinem sonnengebräunten, kantigen Gesicht einfach fantastisch ausgesehen hatte. Dazu kam dann noch seine Uniform mit all den Orden, obwohl er zugeben musste, dass er sich nur die wenigsten davon wirklich verdient hatte. Er war nie im Kampf gewesen, denn an persönlichem Mut hatte es ihm stets gemangelt. Aber sollten ruhig die talentfreien Massen in den Schützengräben sterben, hatte er sich schon damals gedacht; seine Fähigkeiten hatten ihn an einen sichereren Ort geführt. Dem alten Mann traten die Tränen in die Augen, als er sah, was er einst gewesen war, und neben ihm stand der Mann höchstpersönlich. Er war von kleiner Statur, doch in jeder anderen Hinsicht ein Koloss. Sein schwarzer Schnurrbart war für alle Zeit über dem ausdrucksstarken Mund wie eingefroren.
    Der alte Mann küsste erst sein jüngeres Ich auf dem Foto und dann die Wange

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