Doppelspiel
in die Akte auf seinem Schoß und sagte: »Okay, in dreißig Minuten sind wir in der Luft. Zum nächsten Job können wir fliegen.«
»Toll«, knurrte Shaw. Er ließ das Fenster herunter und atmete die frische Morgenluft ein. Zumeist arbeitete er nachts, und viele seiner ›Jobs‹ waren am frühen Morgen bereits vorbei.
Ich arbeite für eine Organisation, die offiziell nicht existiert, und mache Dinge auf der ganzen Welt, von denen nie jemand etwas erfahren wird .
Die ›Organisation‹ gestattete es ihren Mitarbeitern, am Rande der Legalität zu operieren; oft überschritten sie diese Linie aber auch oder ignorierten sie gleich ganz. Die Länder, die Shaws Organisation unterstützten, waren die alten G8-Staaten, und somit technisch gesehen die ›zivilisiertesten‹ Nationen der Welt. Ihre eigenen Organisationen konnten unmöglich zu brutalen oder gar tödlichen Mitteln greifen. Also hatten sie insgeheim eine Bestie herangezüchtet, für die der alte Leitsatz galt: Der Zweck heiligt die Mittel. Ergebnisse waren alles, was zählte. Dinge wie die Menschenrechte oder andere juristische Zwänge waren dabei unbedeutend.
Frank musterte Shaw. »Ich habe ein paar Blumen für Annas Grab geschickt.«
Überrascht drehte Shaw sich zu ihm um. »Warum?«
»Sie war eine gute Frau, und aus irgendeinem Grund war sie bis über beide Ohren in dich verliebt. Das war der einzige Fehler, den ich je bei ihr habe finden können.«
Shaw schaute wieder aus dem Fenster.
»So jemanden wie sie wirst du nie wieder finden.«
»Deshalb suche ich auch gar nicht erst, Frank.«
»Ich war auch einmal verheiratet.«
Shaw schloss das Fenster und lehnte sich zurück. »Was ist passiert?«
»Sie ist tot. Sie war Anna recht ähnlich. Ich habe weit über meine Verhältnisse geheiratet. So etwas passiert einem nur einmal im Leben.«
»Wenigstens hast du es bis in die Kirche geschafft. Ich habe diese Chance nie bekommen.«
Frank sah aus, als wolle er etwas darauf erwidern, doch er schwieg. Tatsächlich sagte keiner der beiden Männer mehr ein Wort, bis sie am Flughafen eintrafen.
Kapitel vier
D ie Gulfstream ließ sich von dem gleichmäßigen Wind in die Höhe tragen. Als sie ihre Reiseflughöhe erreicht hatte, holte Frank die übliche Akte hervor: Fotos, Hintergrundberichte, Analysen und Einsatzempfehlungen.
»Evan Waller«, begann Frank. »Kanadier. Dreiundsechzig Jahre alt.«
Shaw nahm sich mit einer Hand eine Tasse schwarzen Kaffee und mit der anderen die Akte. Er schaute auf einen Mann mit kahl rasiertem Kopf. Er sah durchtrainiert und stark aus, und seine Gesichtszüge waren scharf und kantig wie das Bild auf einem hochauflösenden LCD-Bildschirm. Selbst auf dem Foto schienen die Augen förmlich Funken zu sprühen und der Mann in der Lage zu sein, Shaw mit einem Blick zu töten. Die lange Nase des Mannes begann mitten auf der Stirn und reichte bis zum Mund hinunter. Es war ein grausamer Mund, dachte Shaw. Und dieser Mann war ohne Zweifel tatsächlich grausam, böse und gefährlich, denn wäre er das alles nicht, dann würde Shaw sich jetzt sein Bild nicht ansehen. Schließlich jagte er keine Heiligen, sondern gewalttätige Sünder.
»Für sein Alter sieht er noch verdammt gut aus«, bemerkte Shaw und warf das Foto auf den kleinen Tisch.
»In den letzten zwei Jahrzehnten hat er sich mit allem beschäftigt, womit sich viel Geld verdienen lässt«, erklärte Frank. »Nach außen hin hat er eine weiße Weste. Er macht nur legitime Geschäfte, bleibt weitgehend aus der Öffentlichkeit, spendet für wohltätige Zwecke und hilft Ländern der Dritten Welt beim Aufbau ihrer Infrastruktur.«
»Aber?«
»Aber wir haben herausgefunden, dass er sich den Großteil seines Vermögens mit Menschenhandel verdient, vor allem mit jungen Asiatinnen und Afrikanerinnen, die in Massen von Wallers Leuten entführt und im Westen an Bordelle verkauft werden. Deshalb engagiert er sich auch so in der Dritten Welt. Das ist seine Pipeline. Er benutzt seine Kontakte, um zu bekommen, was er will, und mit seinen legalen Geschäften wäscht er das Geld.«
»Okay, damit hat er sich wohl einen Besuch von mir verdient.«
Frank stand auf, mixte sich eine Bloody Mary an der kleinen Flugzeugbar und steckte eine Selleriestange ins Glas. Dann setzte er sich wieder und rührte das Ganze mit einem langen Löffel um. »Waller hat die Einzelheiten gut verborgen. Wir haben einige Zeit gebraucht, bis wir ihn durchschaut haben, doch das wenige, das wir haben, hätte vor Gericht
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