Doppelspiel
Geiste hakte Shaw einen weiteren Namen auf seiner Liste von herzlosen Bastarden ab, die unschuldige Kinder dazu verleiteten, andere Menschen in die Luft zu jagen, und das nur, weil die nicht an denselben Gott glaubten wie sie.
Und weitere zehn Minuten später saß er im Wagen und fuhr zum Flughafen von Wien, und neben ihm saß Frank Wells, sein Boss. Frank sah aus wie der übelste Hurensohn, den man sich vorstellen konnte, und das war er auch. Er besaß den Brustkorb eines Mastiffs und knurrte auch so. Am liebsten trug er billige Anzüge, die schon zerknittert waren, bevor man sie anzog, und dazu einen scharfkantigen Hut, bei dessen Anblick man sich modisch um Jahrzehnte zurückversetzt fühlte. Shaw hatte schon immer geglaubt, dass Frank schlicht zur falschen Zeit geboren worden war. Er hätte hervorragend in die 20er-, 30er-Jahre gepasst, wo er Verbrecher wie Al Capone und John Dillinger mit einer Tommy Gun statt mit einem Haftbefehl hätte jagen können, und ihre Miranda-Rechte hätte er ihnen auch nicht vorlesen müssen. Frank war unrasiert, und sein zweites Kinn klebte an seinem Hals. Er war Mitte fünfzig, sah aber dank all der Wut und der Bitterkeit, die sich über die Jahre hinweg in seiner Psyche aufgestaut hatten, deutlich älter aus. Er und Shaw waren durch eine Art Hassliebe miteinander verbunden, und im Augenblick schien der Hass wieder die Oberhand gewonnen zu haben … jedenfalls Franks mürrischem Gesichtsausdruck nach zu urteilen.
Ein Teil von Shaw konnte das verstehen. Frank trug den Hut in Autos und Innenräumen nicht nur, um seinen kahlen Eierkopf zu verstecken, sondern auch um die Delle in seinem Schädel zu verbergen, die von einer Pistolenkugel stammte – von einer Pistolenkugel, die Shaw abgefeuert hatte. So etwas war nicht gerade der Beginn einer wundervollen Freundschaft; trotzdem war diese fast tödliche Konfrontation der Grund dafür, warum sie jetzt zusammen waren.
»Du warst ein wenig langsam, als du mit Benny zugange warst«, bemerkte Frank und kaute auf einer nicht brennenden Zigarre.
»In Anbetracht der Tatsache, dass ›Benny‹ bin Alamen auf Platz drei der Liste der meistgesuchten Terroristen stand, denke ich, ich habe mir ein wenig Schulterklopfen verdient.«
»Ich wollte es ja nur einmal erwähnt haben, Shaw. Man weiß ja nie. Nächstes Mal hast du vielleicht nicht so viel Glück.«
Shaw erwiderte nichts darauf; dafür war er viel zu müde. Er schaute aus dem Fenster auf die schönen Straßen Wiens. Er war schon oft in der österreichischen Hauptstadt gewesen, der Heimat einiger der größten Genies der Musikgeschichte. Doch unglücklicherweise waren seine Besuche stets beruflicher Natur gewesen, und seine lebhafteste Erinnerung an die Stadt hatte leider nichts mit einem Konzertbesuch zu tun, sondern mit einem großkalibrigen Geschoss, das unangenehm nah an seinem Kopf vorbeigeflogen war.
Shaw rieb sich das Haar. Es war endlich wieder nachgewachsen. Für eine seiner letzten Missionen hatte er sich den Kopf kahl rasieren müssen. Shaw war erst Anfang vierzig, sechseinhalb Zoll groß und absolut durchtrainiert; doch als sein Haar wieder nachgewachsen war, da hatte er einen Hauch von Grau an den Schläfen bemerkt und einen winzigen kahlen Fleck am Hinterkopf. Selbst für ihn waren die letzten sechs Monate schwierig gewesen.
Als hätte er Shaws Gedanken gelesen, fragte Frank: »Und? Was war mit dir und Katie James?«
»Sie arbeitet wieder als Journalistin, und ich mache das Gleiche wie immer.«
Frank ließ das Fenster herunter, zündete sich die Zigarre an und blies den Rauch nach draußen. »Dann war’s das also, ja?«
»Warum hätte da denn auch mehr sein sollen?«
»Ihr zwei habt eine Menge gemeinsam durchgestanden. Da kommt man sich schon näher.«
»Sind wir aber nicht.«
»Wie auch immer … Sie hat mich übrigens angerufen.«
»Wann?«
»Vor einer Weile. Sie hat mir erzählt, du hättest noch nicht einmal Auf Wiedersehen gesagt, sondern seiest einfach in den Sonnenaufgang davongeritten.«
»Ist das etwa verboten? Und warum hat sie dich und nicht mich angerufen, um mir das zu sagen?«
»Sie hat gesagt, das hätte sie versucht, doch du hättest deine Nummer geändert.«
»Ja, gut, das könnte stimmen.«
»Und warum?«
»Weil mir danach war. Hast du sonst noch irgendwelche persönlichen Fragen?«
»Habt ihr miteinander geschlafen?«
Bei dieser Frage versteifte sich Shaw. Frank hatte das Gefühl, vielleicht zu weit gegangen zu sein, und so schaute er rasch
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