Doppelte Schuld
begrüßte.
Bello roch nach entzündetem Zahnfleisch und schlechter Verdauung, und obwohl ihre Schulter barbarisch schmerzte, begann Katalina hilflos zu kichern, während sie dem Bernhardiner in die blutunterlaufenen Augen sah. Bello hatte einen Hüftschaden und den Boden gründlich vollgesabbert, typisch für einen überzüchteten Rassehund.
»Ist was passiert?« Edith Schmid, Bellos Frauchen, beugte sich zu ihr herunter, die kurzsichtigen Augen schwammen riesengroß hinter der dicken Brille. Die Frau sah aus, als ob sie sich nicht entscheiden konnte, um wen sie sich mehr Sorgen machen mußte: um den Hund oder um Katalina.
Katalina tätschelte Bello den Kopf und stemmte sich hoch. »Alles in Ordnung. Aber was Bello betrifft: Er braucht Bewegung, so schwer ihm das auch fällt.« Sie lächelte Edith Schmid aufmunternd zu, die tapfer nickte. Die Frau benötigte Bewegung weit dringender als der Hund, aber auf ihren Arzt würde sie nicht hören. Immer öfter hatte Katalina das Gefühl, daß ihr therapeutischer Rat eher dem Menschen als dem Tier zugute kam.
Endlich war der letzte sieche Vierbeiner Blanckenburgs versorgt. Katalina ließ sich auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch sinken und starrte zum Fenster hinaus. Unter den zarten Schleiern, die über den blauen Himmel zogen, flog eine kleine Sportmaschine. Die Touristen schienen sich Schloß und Stadt lieber von oben anzusehen.
Der Tote war kein Tourist gewesen und auch kein Einheimischer. Sie hatte sein Gesicht noch immer vor Augen. Vielleicht war er ja eines natürlichen Todes gestorben. Sie schüttelte den Kopf. Nein. Es hatte keinen Sinn, sich zu belügen. Es war mehr als unwahrscheinlich, daß sich ein Mensch nach einem Herzinfarkt oder Kreislaufkollaps noch durch eine Brombeerhecke zu einem ruhigen Plätzchen im Gebüsch schleppen konnte.
Aber wenn es kein natürlicher Tod war, wenn jemand nachgeholfen hatte, dann konnte der Täter noch nicht weit gewesen sein, als Zeus den Toten fand. Katalina fröstelte. War sie in Gefahr gewesen? Aber hätte Zeus nicht Laut gegeben, wenn jemand in der Nähe gewesen wäre?
Jemand? Der Mörder. Sag es doch, forderte sie sich auf. Der einzige Mensch, dem sie an diesem Morgen begegnet war, war die weiße Frau auf dem Kirchplatz über der Krypta gewesen. Hatte sie eine Mörderin nach der Tat beobachtet?
Sie wußte, daß sie die Polizei hätte anrufen müssen. Aber sie wußte auch, warum sie es nicht konnte.
Angst, scharf wie Sodbrennen. Das Geräusch, wenn sie gegen die Tür traten, wenn sie heraufmarschiert kamen in schweren Stiefeln, wenn sie Befehle schrien. Die Schläge, bevor sie einen mitnahmen. Die Verhöre, das viel zu helle Licht in den stinkenden Zellen.
Sie kämpfte seit Jahren gegen diese Bilder, sagte sich immer wieder, daß sie mit der Realität hier und heute nichts zu tun hatten. Aber was half schon gegen Erinnerungen.
Mechanisch begann sie, die Papiere auf dem Schreibtisch zu sortieren. Sie mußte Rechnungen schreiben, sonst konnte sie auch keine bezahlen. Es mußten neue Medikamente bestellt werden. Der Fellrasierer für Hunde und Katzen war kaputt. Es gab genug zu tun, und Arbeit lenkte ab, das war sie so gewohnt, und es funktionierte immer.
Nur diesmal nicht. Sie sah den Mann vor sich, wie er bei ihr in der Praxis gesessen hatte, linkisch, schüchtern. Er hatte nach jemandem mit einem Blindenhund gesucht. Sie räumte die Muster des neuen Entwurmungsmittels für Hunde beiseite, die ihr der Vertreter vor ein paar Tagen dagelassen hatte, und stand auf. In letzter Zeit hatte sie nur einen Blindenhund gesehen. Anubis vor dem Grabstein auf dem Kirchplatz von Schloß Blanckenburg. Den Hund der weißen Frau.
Ihre Hand ging zum Telefon und schwebte unentschlossen über dem Hörer. Sie ließ sie wieder sinken. Moritz anzurufen hatte keinen Sinn. Wahrscheinlich war er unterwegs. Und selbst wenn er da wäre, hatte er vermutlich zu tun.
Dabei sehnte sie sich nach einer Umarmung. Nach seiner Stimme, nach Berührungen und Worten. Nach der Nähe, die es zwischen ihnen beiden gegeben hatte.
Wann hatte es begonnen, das Schweigen?
»Du mußt dich der Vergangenheit stellen, damit sie dich nicht bis ans Ende deiner Tage verfolgt.«
Auch so ein Satz. Sie hatte gelacht, als er das sagte, vor ein paar Wochen, als er sie überreden wollte, mit ihm nach Mostar zu fahren. Ausgerechnet Mostar.
»Und dann machen wir einen Abstecher nach Glogovac.«
Wozu? Das Haus der Großeltern stand nicht mehr, und es gab dort keine
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