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Doppelte Schuld

Titel: Doppelte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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ist besser so. Was sollen wir einander die Illusionen rauben und die Bilder zerstören, die wir all die Jahre über gehütet haben, geschönte Bilder von damals, als wir noch jung und ansehnlich waren?
    Man kann die eigene Geschichte nicht zurückdrehen. Never.
    Vor dem Stadtmuseum blieb sie stehen und sah hoch zum Schloß.
    Du hast mich gerufen, Gregor, dachte sie, aber ich werde nicht kommen. Es ist zu spät.
    Wir treffen uns nach dem Krieg in Blanckenburg, das hatten wir uns versprochen, damals, weißt du noch? Ich habe mein Versprechen gehalten. Ich war da. Im Juli 1945. Bevor die Russen kamen. Ich habe gesehen, wie sie die Schloßkirche gesprengt haben – besser gesagt: ihre Reste. Ich konnte nicht auf dich warten.
    Ich konnte nicht, weil …
    Was hätte sie ihm sagen sollen? Daß sie schwanger gewesen war und die Wahl zwischen vier bis fünf möglichen Vätern hatte? Daß sie für das Kind hatte überleben wollen? Daß sie fürchtete, er werde sich abwenden von ihr des Kindes wegen? Und daß sie den Kleinen dennoch verlassen hatte?
    Sie drehte dem Schloß den Rücken zu und nahm den Weg hoch zum Hotel.
    Gregor, ach Gregor. Vielleicht hätten wir einander finden können, wenn wir gesucht hätten. Rechtzeitig. Aber ich habe die Suche und die Sehnsucht aufgegeben, aus vielerlei Gründen. Der erste der Gründe hieß Jan Henry Nowak. Der zweite hieß Paul Grunau. Und der wichtigste hieß Starrsinn. Gefolgt von Dickköpfigkeit, gepaart mit Naivität.
    Der wichtigste Grund war ich selbst.

9
    Moritz lehnte sich in seinem Stuhl zurück und versuchte, die Geräusche im Seminarraum des Instituts für Geobotanik an der Universität Hannover auszublenden, das Räuspern und Hüsteln und unruhige Scharren von Füßen, und sich ganz auf die ruhige Stimme des Vortragenden zu konzentrieren. Er war selten so froh gewesen über die Einladung zu einem wissenschaftlichen Symposion. Derzeit war er dankbar für alles, was ihm einen Grund gab, Blanckenburg für eine Weile den Rücken zu kehren: Katalina ging ihm aus dem Weg, Gregor stellte viel zu viele Fragen, und die Aussicht auf weitere Vernehmungen durch die Kripo machte ihn müde. Die akademische Welt aber war frei von den Mühen des Alltags. Das, was er oft genug lächerlich gefunden hatte, beruhigte ihn zur Zeit enorm.
    »Visočica.« Der Mann vorne am Rednerpult sprach den Namen geradezu andächtig aus. Und wenn die Geschichte stimmte, dann hatte er auch Grund dazu. Moritz folgte der Diashow interessiert und amüsiert zugleich. Was man sah, regte die Phantasie an: Da war ein Berg, der Visočica, der seltsam symmetrisch in die Landschaft ragte. Doch er wies keine Kegelform auf wie die Berge vulkanischen Ursprungs, sondern ähnelte einer Pyramide, so jedenfalls die These des Vortragenden. Moritz empfand die Ähnlichkeit als gerade mal entfernt – aber was wäre die Wissenschaft ohne eine interessante Hypothese?
    Senad Hodovic, Museumsdirektor in Visoko, einem bosnischen Städtchen unweit der Hauptstadt Sarajevo, war von seiner Sache überzeugt: Da gab es Satellitenaufnahmen, die rechtwinklige Formen am Berg zeigen. Infrarotmessungen aus dem All, die belegen, daß der Berg auf Temperaturschwankungen schneller reagiert als die Umgebung. Quaderartige Strukturen im Berginneren, die man bereits ausgegraben hatte. Zu Stufen geschichtete Platten direkt unter der Spitze des Berges. Ein Eingang zu einem Tunnel. Augenzeugen, die Monolithe mit eingeritzten Runen gesehen haben wollen.
    Und das alles in einer wunderschönen Gegend. Ob er Katalina wenigstens in dieses neuentdeckte Land der Pyramiden locken könnte? Schließlich war er Archäologe, und sie hatte nie verstanden, warum er sich mit der Rettung von Schloß Blanckenburg aufhielt, diesem Faß ohne Boden, und seinen Beruf vernachlässigte. Aber hatte er überhaupt noch einen Beruf?
    Visoko. Ein Örtchen mit einem verheißungsvollen Namen. Und weit genug weg von Glogovac oder Mostar, zwei Orten, gegen die Katalina eine Allergie zu haben schien. Er wäre schon längst mit ihr nach Bosnien gefahren, wenn sie sich nicht so beharrlich geweigert hätte. Sicher, sie hatte Gründe, sich zu sträuben. Das waren keine guten Erinnerungen, die sie noch heute nachts aus dem Schlaf schrecken ließen. Aber war es auf die Dauer richtig, die eigenen Wurzeln zu verdrängen? Moritz hätte fast gegrinst. Er war ein Meister der Verdrängungskunst, jedenfalls war er das gewesen, jahrzehntelang.
    Und das wäre er besser geblieben. Statt dessen hatte er

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