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Dorfpunks (German Edition)

Dorfpunks (German Edition)

Titel: Dorfpunks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
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sah, dass sich am Ende der Halle ein Spalier im Publikum bildete. Die Leute drehten sich nach rechts und gerieten komplett aus dem Häuschen. Brian trug Angus auf den Schultern durch das Publikum. Der spielte über seine mit einem Funksender verbundene Gitarre ein Endlossolo, das aus den gewaltigen Boxen durch die Halle ballerte. Wellenbewegungen gingen in ihre Richtung, Tausende von Armen streckten sich aus, versuchten die beiden zu berühren, ein Stück von Angus’ Uniform abzureißen, was einigen auch gelang.
    «Bitte, nur einen kleinen Fetzen, reiß mir auch was ab von dem oberen, ey, du da, Großer, reiß ma was von der Jacke von dem ab!!!»
    Ziemlich zerfetzt kam Angus am anderen Ende der Halle an und enterte von dort mit Brian wieder die Bühne. Der Applaus war frenetisch.
    Wir trugen uns gegenseitig auf den Schultern, um besser sehen zu können, und grölten jeden Refrain, so gut wir es konnten, auf Phantasieenglisch mit. Nach einem Schlagzeugsolo warf Phil Rudd, der Drummer, einen seiner zerprügelten Sticks ins Publikum. Der Effekt war, als wenn man ein Stück Fleisch in ein Piranhabecken geworfen hätte, ein menschlicher Strudel tat sich auf, aus dem Schmerzensschreie erklangen, Hände ragten aus ihm empor, andere, die weiter außen standen, versuchten durch gezielte Hechtsprünge in die Mitte des Strudels zu kommen, um an die Reliquie, den Splitter aus dem Kreuz Jesu, zu gelangen. Der vierschrötige Josie hatte die größte Durchsetzungskraft. Er tauchte und schlug und gelangte schließlich, am Grund des Körpermeers, zu dem göttlichen Stab, den er an sich riss und unter seinem Hemd verbarg. Dann holte er Luft und tauchte kurz danach an einer anderen Stelle wieder auf. Das Holz war verschwunden, der Strudel beruhigte sich wieder. Josie behielt sein Geheimnis für sich. Das Konzert verlangte uns alles ab, und als es vorbei war, waren wir durchgeschwitzt bis auf die Knochen. Es gab noch einige Zugaben, dann wurde die Ostseehalle zügig geräumt, nach einer Viertelstunde standen wir draußen, und unser Fest war vorbei. Tausende von nassen, heiseren, rockigen Jugendlichen in Jeans und Leder machten sich auf den Weg nach Haus, trabten in die feuchten, dunklen Straßen mit Visionen von Rock im Kopf. Glücklicherweise trafen wir einen Freund, dessen Eltern Taxifahrer waren und die uns mitnahmen, und so kamen wir, ohne trampen zu müssen, zurück nach Schmalenstedt. Die Fahrt war frustrierend, denn peu à peu ließ die Erregung nach, und zurück blieb nur ein hohes Pfeifen in den Ohren. Aber dann fiel Josie sein Geheimnis ein.
    «Ey, Leute, ich hab hier noch was, das glaubt ihr nicht, passt mal auf …»
    Er zog den gebrochenen Schlagzeugstock von Phil Rudd aus seinem Hemd, und der Stock leuchtete in der Nacht wie eine Altarkerze. Wir anderen konnten es nicht glauben, wir beugten uns vor, tasteten, stotterten erregt, reichten ungläubig die Reliquie herum.
    «Das ist ja das Geilste, Alter, wie bist du denn daran gekommen?»
    «Ich bin einfach hin und hab die anderen weggehauen und hab den genommen.»
    «Das ist ja wohl das Geilste, Alter, was glaubst du, was der wert ist?»
    «Ich schätze, sehr viel. Schätzungsweise.»
    «Alter, das ist der Knüppel von Phil Rudd, verstehst du?»
    «Boah, wie der da raufgehauen haben muss, kumma, der ist voll zerbrochen.»
    «Ja, und wie hat der dann weitergespielt?»
    «Mit den Händen!»
    «Quatsch, der hatte noch so einen Stock.»
    «Ach so, na ja, egal, wir haben den hier, der war das ganze Konzert dran.»
    Hier war der Beweis für das eben Erlebte, für AC/DC, für unsere Welt, unseren Glauben. Josie steckte das heilige Holz wieder ein. Seitdem hing es bei ihm an der Wand und wurde von uns angebetet, und da hängt es heute noch.
    Als die Ostseehalle später gesäubert wurde, fand man einen Fan in einer der oberen Reihen auf dem Boden. Jemand hatte ihm ein Messer in die Brust gesteckt. Er war tot.

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    Kurz vor meiner Konfirmation schnitt ich mir die Haare mit einer Nagelschere ab. Mein Entschluss war klar: Ich musste Punk werden. Ohne eigentlich wirklich etwas darüber zu wissen – es gab da zwei Bravo-Artikel und die vage Ahnung, wie cool man als Punk sein würde –, fällte ich diese Lebensentscheidung. Ich war vierzehn. Meiner Mutter liefen stumme Tränen über die Wangen, als sie meine neue Frisur sah. Mein Haar sah aus wie ein abgewetzter, räudiger Fellball, überall waren Löcher bis auf die Kopfhaut geschnitten. Dazu

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