Dorfpunks (German Edition)
trug ich alte Schlafanzughosen, Bundeswehrstiefel und zerrissene T-Shirts. Ich war ein Schandfleck für unser Dorf. Die anderen Dorfjungs verstanden mich nicht. Ich selber fand mich schön und aufregend. Ich fand mich neu und wild, hart und modern. Weit vor allen anderen auf einem Berg, auf dem nur sehr wenige standen. Von den meisten Leuten wurde ich mit einem Gesichtsausdruck betrachtet, der sich ziemlich genau zwischen Verständnislosigkeit und Verachtung bewegte. Denn der Preis der Zugehörigkeit zur Avantgarde war absolute, für Außenstehende unverständliche, eingeschworene Hässlichkeit. Im Kreise meiner wenigen Mitkämpfer aber wurde ich voller Respekt und Achtung für meinen Schritt empfangen. Ich war endlich dabei: Ich war Punk!
Zu meiner Konfirmation wurde die gesamte Verwandtschaft eingeladen. Meine Eltern, mit ihrem hohen ethischen Ansatz, hatten mich vorher zur Seite genommen und mir erklärt, sie wollten nicht, dass mir die Leute zu meiner Glaubensentscheidung Geld schenkten. Sie boten mir die Summe von 1000 Mark, die sie mir geben würden, wenn ich auf den Bettelrummel verzichtete. Ich lehnte ab, und sie riefen die Verwandtschaft an, um sie zu bitten, ihre Börsen zu Hause zu lassen. Ich bekam es mit der Angst zu tun, hatte ich mich doch extra umtaufen lassen, um an dem protestantischen Geldsegen teilhaben zu können. Bei der katholischen Firmung gibt es nämlich nur eine Armbanduhr. Die Verwandten wurden gebeten, mir doch lieber etwas Sinnvolles zu schenken anstatt des schnöden Mammons. Mir schwante Übles, und ich setzte meine ganze Hoffnung auf die Dorfbevölkerung, die sich ganz sicher nicht von ihrer schönen Tradition abbringen lassen würde.
Am Tag der Konfirmation musste ich mit den anderen Konfirmanden in der Kirche ein längeres Ritual durchstehen, bei dem wir auf die christlich-evangelische Gemeinde eingeschworen werden sollten. Ich hatte mir die Löcher in der Kopfhaut auf familiären Druck hin mit braunem Filzstift zugemalt und trug einen Anzug. Wir lechzten nach dem Abendmahlswein.
Danach ging es zu uns in die Diele. Meine Eltern hatten ein Theaterstück vorbereitet, den «Firmling» von Karl Valentin, um diesen Nachmittag zu etwas ganz Besonderem werden zu lassen. Alle Verwandten freuten sich und schauten amüsiert zu, nur ich schob desinteressierten Frust, hatten sich doch alle meine Befürchtungen bewahrheitet: Meine Onkel und Tanten hatten mich mit einem Haufen von total wertlosem Plunder überhäuft. Es gab Handtücher und Socken, ein paar blöde Hemden und Bücher über den deutschen Wald. Die Bücher konnte ich immerhin in den nächsten Tagen im örtlichen Buchladen gegen Werner-Comics eintauschen.
Ich baute auf den spätnachmittäglichen Rundgang durch das Dorf, doch ich kam dabei nur auf die bescheidene Summe von 500 Mark. Ein ziemlicher Reinfall. Ich verschwand von meiner eigenen Konfirmation und kaufte mir zusammen mit Sonny Sommer einen Kasten Bier. Danach weiß ich nichts mehr.
In den Tagen danach legte ich das Geld sinnvoll an. Zuerst kaufte ich mir für 180 Mark einen schwarzen Jebs Integralhelm, den coolsten Helm, den es damals gab. Es war ein glänzender schwarzer Alienschädel; wenn man ihn aufhatte, war es egal, worauf man fuhr. Jetzt war ich quasi schon drin in der Bikerszene, als Helmbesitzer. Ein Moped war eigentlich gar nicht mehr nötig, es reichte schon aus, wenn man mit dem Helm in die Eisdiele kam, um respektvolle Blicke zu ernten.
Für das Restgeld erstand ich zwei Mofawracks, aus denen ich eine Superkiste zusammenbauen wollte. Das Ergebnis meiner Bemühungen war eher bescheiden, aber am Ende hatte ich etwas Lautes, das fahren konnte, wenn man es bergab anschmiss. Da ich durch die Mofaführerscheinprüfung gefallen war, fuhr ich ohne und gleich auch ohne Versicherung. Ich liebte, pflegte und umsorgte es jeden Tag. Auf den schmalen Tank hatte ich einen springenden Tiger gemalt, der Gefährlichkeit ausdrücken sollte. Nachts, wenn meine Eltern schliefen, schlich ich mich aus dem Haus und schob bis vor das Dorf, weil es so laut war. In gehörigem Abstand zum letzten Haus schmiss ich es an und fuhr damit zu Meier’s Disco.
Der Discoplanet
Disco Meier’s war ein Magnet in der Nacht, ein strahlendes, pulsierendes Juwel, ein bäuerlicher Discostern, zusammengebacken aus Musik, Alkohol, Sex und Schlägereien. Sobald wir Haare im Schritt bekamen, zog es uns Jungs alle dorthin, als wären wir Kater, die einen See aus Lebertran erschnuppert
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