Dorfpunks (German Edition)
ihm. Da sei so ein Typ auf einen Bauernhof in der Nähe gezogen, der sei der absolute Wahnsinn, und dort sei alles erlaubt, paradiesische Umstände für altersmäßig diskriminierte Leute ohne Rechte wie uns. Das klang sehr interessant. Ich verabredete mich also mit Phil, diesen Typen am folgenden Wochenende zu besuchen.
Am Samstag fuhren wir mit dem Fahrrad über Land zu Isis Hof, der idyllisch abgelegen am Ende eines Feldweges inmitten unberührter Natur lag. Ein kleiner See und der Wald säumten sein Grundstück, das groß und verwildert war. Isi selbst stand im Garten und freute sich, dass wir kamen. Er war etwa 45 Jahre alt, hatte leicht angegraute Haare, einen festen Händedruck, ein freundliches Gesicht und eine souveräne Art. Er trug zerschlissene Arbeitskleidung und lud uns an einen großen Tisch, der auf dem Rasen vor seinem Haus stand. Auf dem Tisch stand ein großer Ballon Wein, und daneben lag ein Schinken. Wie selbstverständlich bot er uns Knirpsen erst mal ein Glas an. Phil fing an, sich eine Zigarette zu drehen, und ich begriff, dass hier offenbar einiges möglich war. Den Wein setzte Isi selbst an, auch Schnaps brannte er daraus, und in der Küche hingen verschiedene Schinken, die er geräuchert hatte. Das riesige alte Haus hatte er zum Teil schon hergerichtet, viele Flächen und Räume waren aber in einem total chaotischen Zustand. Überall lagen Sachen rum, alte Möbel, Felle, Flaschen, Weinballons, Schallplatten, Instrumente, ein Paradies der Unordentlichkeit für Spacken wie uns. An den Wänden hingen Fotos, auf denen Isi mit den Beatles zu sehen war, daneben ein Scherenschnitt mit seinem Namen: ISI. Wie kam der mit den Beatles auf die gleichen Bilder? Ich erinnerte mich an den Namen Isi, wo kannte ich den nochmal her? Dann fiel es mir wieder ein: Ich hatte mir vor zwei Jahren bei Aldi mal für sehr wenig Geld eine Doppel-LP gekauft: «Beatles live at Star Club 1962». Und auf dieser Platte macht John Lennon vor «Besame mucho» die Ansage: «And this is especially for Isi … 1, 2, 3, 4.» Jetzt ging mir ein Licht auf. Die Fotos waren nicht gefaked, er kannte die Beatles wirklich. Neugierig fragte ich ihn, was denn die Bilder zu bedeuten hätten. Er erzählte mir, dass er früher in St. Pauli gewohnt habe und nachts viel unterwegs gewesen sei. So hätte er auch die Beatles kennen gelernt, und sie wären Freunde geworden. Sie hätten ihn oft besucht und auch einige Male bei ihm gepennt. Irgendwo lägen noch unveröffentlichte Aufnahmen von ihnen rum und das Glas, aus dem John immer seinen Wodka trank, wenn er bei Isi war. Isi holte ein kleines Schnapsglas, dem der Fuß fehlte, und hielt es mir hin. «Magst du einen Selbstgebrannten?» Was für eine Ehre! Ich als Minderjähriger durfte aus dem Glas von John Lennon einen Schnaps von Isi Brandt trinken! Ich fühlte mich gänzlich respektiert und trank von jetzt an meine Schnäpse bei Isi nur noch aus dem Glas von John.
Wir fuhren oft zu Isi. Ich erzählte meinen Eltern von einem interessanten Typen, den wir kennen gelernt hätten und bei dem wir auf dem Hof helfen dürften. Saufen helfen – aber das sagte ich ihnen natürlich nicht. Eines Wochenendes waren Phil und ich mal wieder unterwegs zu Isi, wir hatten die Erlaubnis, dort zu übernachten. Das Beste an allem aber war, dass auch eine Frau kommen wollte, eine tolle Frau, in die alle Freaks zu dem Zeitpunkt ganz vernarrt waren: Karmen Nieberg. Sie hatte eine offene Beziehung mit Phil, checkte aber auch sonst das Leben aus, und ich verstand mich sehr gut mit ihr. Sie war hübsch, kokett, hatte lange, wilde Haare und eine Stupsnase. Dazu trug sie die üblichen Batikklamotten der Zeit, was ihr sehr gut stand, fand ich. An dem Abend testete Isi mit uns einen neuen Orangenwein, den er frisch anstach. Ich trank einige Gläser davon, und die Wirkung war umwerfend. Schließlich ging ich in das Zimmer, das mir zum Schlafen zugeteilt war, das so genannte Indienzimmer, ein kleiner Raum mit Hippieutensilien, in dem ich es mir bequem machte. Nach einiger Zeit kam Karmen vorbei und teilte mir mit, dass sie jetzt zu Phil ginge, danach aber umgehend zu mir zurückkommen würde. Das waren ja Aussichten! Voller Freude harrte ich der Dinge, versuchte mich und meinen orangenweinhaltigen Schädel wach zu halten, versank aber immer mehr in erotischen Träumereien, bis ich ganz wegsackte.
Ein ungeheurer Schmerz weckte mich. Ich lag allein in meinem Bett, mein Kopf war kurz vor dem Bersten. Es gibt offenbar gute
Weitere Kostenlose Bücher