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Dorfpunks (German Edition)

Dorfpunks (German Edition)

Titel: Dorfpunks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
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Gründe dafür, warum Orangenwein nicht in jeder Weinhandlung zu haben ist. Was für ein Aufbruch gestern Abend, und was für ein Ankommen heute Morgen! Ich übergab mich mehrmals, aber der Schmerz wollte einfach nicht aufhören. Schließlich fand ich irgendwo im Haus Dolomo-Schmerzbomber und klinkte sie ein. Um den mitleidigen Blicken der schönen Karmen zu entgehen, die mich zum einen versetzt hatte und für die ich zum anderen einen Anblick des Elends geboten hätte, verpisste ich mich klammheimlich und fuhr auf meinem Fahrrad im Nieselregen nach Hause.

Zum letzten Mal Hardrock
    Bon Scott war tot. Erstickt am eigenen Erbrochenen, in einem Auto, in einer Winternacht in London. Ein großer Schock für alle Hardrock-Fans. Aber schon ein Jahr später stand «Hell’s Bells» in den Läden, AC/DC’s erfolgreichste Platte, aufgenommen mit dem neuen Sänger Brian Johnson. Ein Meisterwerk, ein Meilenstein. Und AC/DC gingen auf Welttournee! Das erste Mal. Auch nach Deutschland sollten sie kommen, auch nach Kiel, in die Ostseehalle, 1980. Da wollte ich hin, das sollte unser Wallfahrtsort sein, und Angus Young, der Kindteufel in Schuluniform, war unser Messias. Ich sprach mit Bernd und Sonny, und es war klar: Nichts würde uns von diesem Konzert abhalten, keine Eltern, keine Polizei, keine dunkle Macht. Ein Freund von uns wollte auch mit, Josie war ein kräftiger, nordischer Typ aus einem Nachbardorf, ich kannte ihn noch nicht so gut, fand ihn aber ziemlich abgefahren, wegen seinem Mofa und seiner durchgedrehten Art. Er war ein Ärgerpatient. Ich hatte von Freunden gehört, dass der Typ richtig was losmachen konnte. Angeblich hatte er an einer Puch Maxi die Gabel von einem Krad angebracht und war dann hyperfrisiert mit 80 Sachen wie mit einem Chopper über die Landstraßen gebrettert. Das klang interessant und sympathisch. Ich sprach mit meinen Eltern, und erstaunlicherweise hatten sie nichts dagegen, dass wir ohne sie fuhren, ich bekam sogar das Geld für die Karte. Meine Mutter muss wohl gedacht haben, dass Musik ja eigentlich etwas Positives ist. Sie ahnte nicht, dass wir darin einen Hassverstärker fanden, der mich nur noch weiter von ihr wegtragen würde. Vielleicht ahnte sie aber auch, dass sie sowieso nichts dagegen tun konnte.
    Am Tag des Konzerts trampten wir zu viert nach Kiel und wurden schnell mitgenommen, von irgendwelchen bereits erwachsenen Hardrockern, die mit uns direkt zur Ostseehalle fuhren. Der Anblick vor der Halle war beeindruckend. Tausende von lederbejackten Frühachtziger-Prolls, noch mit langen Haaren und Mittelscheitel, Glockenjeans und Stiefeletten machten sich mit Bier und Bürste bereit für das härteste Konzert ihres Lebens. Überall flackerten Schlägereien auf, eine Glocke der Aggression hing über Kiels Zentrum, ein Gefühl, das zu dieser Stadt sehr gut passte und meines Wissens in einer speziellen Fabrik hier industriell hergestellt wurde.
    Als Vorband waren Saxxon angekündigt, die mir Sonny als den Geheimtipp im Heavy-Bereich schmackhaft machte. Die fielen aber leider aus, und stattdessen traten Whitesnake auf. Das allgemeine Publikumsurteil fiel eindeutig wohlwollend aus, die Gitarrensoli waren ordentlich, lange und schnell, und der Sänger konnte gut hoch singen. Das waren die Parameter. Nach Whitesnake und einer kleinen Pause ging das Licht in der Halle aus, und das Publikum begann vor Spannung zu stöhnen. Aus der Dunkelheit erklangen Kirchenglocken, tiefe Schläge, dann fiel ein Lichtstrahl auf die Mitte der Bühne. Dort stand in Unterhemd, Jeans und mit einer Boxermütze bekleidet Brian Johnson und schlug mit einem hölzernen Vorschlaghammer auf eine riesige Glocke ein, die den Schriftzug «Hell’s Bells» trug. Dazu erklangen die ersten Gitarrenriffs von «Hell’s Bells». Ich habe nie wieder eine derartige Gänsehaut bei einem Rockkonzert gehabt wie bei diesem. Auf den Schlagzeugeinsatz hin ging das Bühnenlicht an, und die ganze Band war zu sehen, auch Angus. Er stand dort in seiner Schuluniform und spielte, und wir waren verzückt. Er war wie wir. Ein Schuljunge mit Hass auf die Gesellschaft, auf die Konventionen und Unterdrückungsmechanismen der Welt, die uns umgab; dachten wir zumindest. Er war Energie, purer Strom, gefährlich, prollig, unangreifbar.
    Ein Hit jagte den nächsten, und bei «Highway to Hell» waren Brian und Angus auf einmal von der Bühne verschwunden. 14   000 Augen suchten die Bühne ab, konnten nichts entdecken. Ich drehte mich nach rechts und

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