Dorfpunks (German Edition)
filigranen Schatten des Strauches gestochen scharf auf unsere Gesichter. Der Typ kam näher, bis er direkt vor unserem Busch stand. Aber er sah uns nicht. Ich weiß nicht, warum, vielleicht war er kurzsichtig. Piekmeier zielte direkt auf ihn. Er war vielleicht einen Meter von uns entfernt, blieb stehen und witterte. Dann drehte er sich um, ging langsam zu seinen Kumpels zurück, und wir hörten sie beratschlagen. Schnell kletterten Piekmeier und ich über eine Seitenmauer des Hinterhofs in den nächsten Hinterhof und von da aus in den nächsten und so weiter. Nach einigen Quermauern schlichen wir im letzten Hof zum Ausgang, sahen den Trupp etwa hundert Meter von uns stehen und rannten in die andere Richtung los. In dem Moment kam HB mit dem Bus vorbeigekurvt, und wir sprangen in den fahrenden Wagen.
Wir fuhren sofort zurück nach Schmalenstedt, denn unsere Meinung über Hamburg hatte sich spontan geändert. Wir fanden es sehr bescheuert dort und hatten erst mal überhaupt keinen Bock mehr auf Reisen dahin. Für ein paar Wochen war unser Fernweh gesättigt.
Dafür beschlossen wir, mit etwa zehn Leuten dieses Jahr nach Roskilde zum großen Rockfestival zu fahren. Killing Joke sollten spielen, The Alarm, Lou Reed, Iggy Pop und viele mehr.
Bea, Sonny und ich fuhren mit Sonnys erstem Opel, ein paar Zelten und Schlafsäcken los. Wir waren wahnsinnig gespannt auf die Bands, mehr aber noch auf den Massenevent, die Alkoholexzesse und das legendäre Schlickrutschen. Auf einer großen Wiese ergatterten wir zwischen Tausenden anderer Rockzombies einen engen Platz, stellten unsere Gewebehülle auf und begannen sofort und eifrig mit der Einnahme von Alkohol. Dann gingen wir auf eine Exkursion über das Gelände, das total unübersichtlich war. Wenn man sich hier verlor, verbrachte man den Rest des Tages alleine. Handys gab es ja noch nicht. Das Areal war überfüllt mit Menschen, jungen, armen, stinkenden Menschen wie wir, alle auf der Suche nach dem ultimativen Kick. Wildheit, Freiheit, Freundschaft, Sex, Drogen, Alkohol, Verschmelzung, Zerfließen, Modekicks, Visionen in Rock standen auf dem Spielplan. Während wir uns durch die Menge schlugen, drehte ich immer mehr auf, fühlte mich wie ein Piranha unter Zierfischen, mein inneres Kraftwerk war kurz vorm Explodieren. Die Aufregung schlug mir derart auf den Magen, dass ich mich übergeben musste und fürs Erste total beleidigt durch Gott und die Vorsehung ins Zelt wankte. Wieso musste es mir gerade jetzt schlecht gehen? Ich schlief ein paar Stunden, stand dann abends wieder auf; der Sound von Rock hatte mich erneut zum Leben erweckt. Ich schnappte mir eine verbliebene Flasche Rheinhessen, überraschte meinen Magen, indem ich die erste Hälfte auf ex trank, und machte mich dann erneut auf ins Getümmel. Ich hatte das große Glück, pünktlich zum Auftritt von Killing Joke vor der großen Bühne zu stehen, ich war wirklich Fan von denen. Es wurde schon richtig dunkel, und Jaz Coleman zog eine unheimlich theatralische Show ab, während wir Fans zum tiefen Standtom-Getrommel, das ihren Sound bestimmte, in wilde Verzückung gerieten. Das war also das Feeling von Festivals! Mit der Masse zu verschmelzen, aufgehoben zu sein, unbeobachtet und frei. Ich ließ mich gehen, tanzte ausgelassen mit meiner Flasche und scannte ab und zu die Menge nach meinen Freunden ab. Schließlich entdeckte ich zu meiner Freude Lara und Jennifer, die auch hier waren.
Nach Killing Joke trat Johnny Winter auf. Den fand ich schrecklich. Er kam mit seiner Band auf die Bühne und fing direkt mit einem endlosen Bluessolo auf der Gitarre an, dass es mir den Magen erneut umdrehte. Schließlich nahm sich ein gewisser Olli aus Oldenburg, ein junger Prollpunk, ein Herz und schmiss Johnny Winter seine halb volle Dose Bier an den Kopf. Das Solo stürzte krächzend ab, Johnny taumelte, wurde wahnsinnig sauer, schrie rum, schmiss die Gitarre weg und rannte von der Bühne. Die Menge brüllte, und Olli aus Oldenburg wurde geschnappt. Verprügelt überreichte man ihn der Polizei, die ihn am nächsten Tag außer Landes brachte. Ich empfand ungerechterweise kein Mitgefühl für Johnny Winter. Höchstens für Olli, den ich auch nicht persönlich kannte.
Am nächsten Tag spielten Lou Reed und später The Alarm. Es regnete, und der Sänger von The Alarm oben auf der überdachten Bühne entblödete sich nicht, «aus Solidarität» mit den Massen Mineralwasser über seinen Kopf zu kippen. Das löste eine warme Welle der
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