Dorfpunks (German Edition)
Dankbarkeit im Publikum aus, ein waberndes U2-Gefühl umschlang uns alle. Das reichte. Bea, Sonny und ich waren schon so relativ genervt von all dem Gematsche, Gepisse, Gekotze gewesen, und wir beschlossen zu fahren, zurück in unsere Kleinstadt, zu unserem Marktplatz, wo wir die einzigen Störenfriede waren.
Nelly gab eine Party. Sie war eine Schulfreundin und in ihrem Äußeren, wie viele andere Mädchen auch, etwas unentschlossen, was die Zugehörigkeit zu Punk betraf. Das drückte sich in einer leicht opportunistischen Frisur aus, bei der die Seiten lang und normal blieben und nur oben auf dem Kopf ein paar Haare kurz geschnitten wurden. Soft-Punk sozusagen. Von der Art her so ähnlich wie David Beckham oder die ganzen anderen Popperwaschlappen, die sich heutzutage nicht trauen, einen richtigen Iro zu tragen und deswegen das obere Deckhaar zu einem ärmlichen Kamm zusammenfrisieren.
Nellys Eltern waren übers Wochenende nicht da, und sie hatte ihre Freunde eingeladen, auf einen gemütlichen Abend bei ihr zu Hause.
Wir kamen relativ früh und benahmen uns anfangs auch ganz ordentlich. Wie üblich transportierten wir größere Mengen an Alkohol von Käthe, und die nahmen wir auch zügig ein. Nach circa zwei Stunden setzte – anfangs noch zaghaft – ein Fest der Zerstörung ein, mit dem wir selbst nicht gerechnet hatten. Wir waren vielleicht zwanzig Leute, arbeiteten aber über den Abend wie vierzig an dem Haus. Während einer von uns, ich weiß nicht mehr, wer es war, oben im Bett saß und verzückt Nellys Stofftiere anzündete, versuchten andere, den Weinkeller aufzubrechen. In Wirklichkeit war es die Besenkammer, aber das rettete die Tür auch nicht. Die Küche bekam einen neuen Anstrich in Blassorange aus frischen Eiern. Die Essensvorräte aus der Vorratskammer wurden entweder verzehrt oder zweckentfremdet im Haus installiert. Im Garten brach jemand zusammen mit dem Betondeckel in die Klärgrube. Nelly stand dem allen fassungslos gegenüber, der Wirbelsturm war in Bewegung geraten, und niemand konnte ihn stoppen. Es gab keinen ausgesprochenen Zerstörungswillen Einzelner, keine bösen Interessen, es gab nur eine dynamische Hysterie, eine Freude an Sinnauflösung, den hellen Spaß am Verbotenen. Die Party dauerte lange.
Als Pelle am nächsten Morgen aus Nellys nach Rauch stinkendem Zimmer kam und am oberen Rand der Treppe stand, zog Piekmeier am unteren Ende den Treppenläufer stramm, sodass alle Läuferstangen aus den Halterungen sprangen und Pelle ärschlings die ganze Treppe runterknallte.
Langsam erwachten wir aus unserem Rausch und bemerkten, was wir da angerichtet hatten. Das Hausinventar war fein säuberlich zerstört. Klammheimlich und feige verließen wir den Ort unseres Wirkens. Wenn jemand gefragt hätte, wer die Zerstörung angerichtet hätte, wäre unsere Antwort sicherlich gewesen: «Keine Ahnung, das war schon …» So wie immer eben.
Die arme Nelly bekam einen Mordsärger. Danach gab sie für uns nie wieder eine Party.
Auch HB gab manchmal Partys, er war aber vorausschauend genug, um sich auf denkbare Schäden vorher einzustellen. Wir kamen und nahmen ihm dankbar die Bude auseinander. Rallinger (Beas Bruder, der auch Punk geworden war) kam mit der Türklinke, der dazugehörigen Tür und dem Türrahmen herein. Er lehnte sich gegen Bücherregale, die als Ganzes seiner Bewegung folgten und nachgaben, um sich müde hinzulegen, während sich Hunderte von Büchern über den Boden ergossen. Im Kühlschrank gab es Schampus. In einem speziellen Fach lag halb eingefroren eine zehn Jahre alte Flasche Krimsekt, das Herzstück der Weinsammlung des Generals, das war HBs Vater. Er war auf Reisen und die Mutter arbeitete. Wir knackten den Krimsekt, genau wie alle anderen guten Flaschen, soffen alles auf ex drei viertel leer und schmissen den Rest über den Zaun. Das Wohnzimmer ließen wir weitgehend unversehrt. Zu groß war unser Respekt vor HB und vor dem General, der uns sicherlich körperlich bestraft hätte. Mich hatte man an die Wand gelehnt, denn ich schlief unter der Einwirkung von Alkohol oft unvermittelt ein, und mich zur Zielscheibe für Mandarinen-Dart gemacht. Es ging darum, mir möglichst viele Mandarinenstücke in den offenen Mund zu schmeißen.
Am nächsten Mittag saßen wir friedlich zusammen auf dem Balkon, als Heffer und Honk dazukamen. Sie hatten in der Nähe einen Weinkeller aufgebrochen, in dem es Spitzenweine gab und aus dem sie sich schon seit Monaten bedienten. Für Alkohol
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