Dorfpunks (German Edition)
schlenderte in Sektlaune zwischen Gemälden von Franz Josef Strauß und Co. und uns Dorfpunks herum. Drinnen, in einem alten Festsaal, hatten wir unsere Instrumente aufgebaut und machten uns jetzt bereit, mit der Musik zu beginnen. Mittlerweile waren wir zu viert in der Band, Bernd Lose, meinen alten Weggefährten aus der Schule, hatten wir als Leadgitarristen dazubekommen. Der Auftritt war schauderhaft. Die Musik rumpelte wie in Zeitlupe vor sich hin. Nach jedem Stück machten wir minutenlange Pausen und rauchten Zigaretten, um unsere Show zu verlängern. Ich weiß gar nicht, wie wir auf die Idee gekommen waren, das Tempo so zu verlangsamen. Das nahm unserem Auftritt jeglichen Drive, und auf den Bändern von damals hört man zwischen den Stücken das verzweifelte Bitten der Anwesenden um Erlösung: «POGO!» Was heißen sollte: «Spielt doch bitte was, und lasst uns hier nicht so dämlich rumstehen.» Wir verstanden sie nicht. Wir wollten mit unseren paar Stücken eben auf ordentliche ein bis eineinhalb Stunden Auftrittszeit kommen und rauchten weiter. Die meisten Erwachsenen verließen nach wenigen Minuten den Raum. Nach dem kurz, ungefähr vierzehnhändig beklatschten Auftrittsende dämmerte es mir langsam. So konnte es nicht weitergehen. Wir waren offenbar doch nicht die norddeutschen Sex Pistols.
Einen letzten Auftritt unserer Punkformation gab es noch. Wir hatten uns mittlerweile in «Die Götter» umgetauft und gaben im Herbst 83 ein Spontankonzert im Haus der Jugend. Dort stellten wir unseren neuen Hit vor, den einzigen Song, der von unserem ständig kleiner werdenden Publikum je mitgegrölt wurde. Er hieß «Das Sauflied».
Ich bin im Park
Und steh hier Schmiere,
Die andern sprühn
Und ich sauf die Biere.
Was ist denn das
Hinter dem Stein?
Das können ja nur
200 Bullen sein
usw.
Ich winde mich beim Niederschreiben dieses grauenhaften Textes.
Das war unsere erste Reaktion auf die nahende Funpunkwelle. Aber auch «Das Sauflied» konnte unser Ende nicht aufhalten. Wir hörten einfach auf, uns zu treffen. Irgendwann holten alle ihre Instrumente bei mir ab.
Als Übergangsprojekt hatte ich mit Sonny und Bea die «Blockflöten des Todes» gegründet. Wir spielten alle drei Blockflöte über ein Nasenloch und sangen dazu gleichzeitig. So konnten wir mit kleinstem Aufwand große Effekte erzielen. Allerdings hatten wir nur zwei Songs, deren Texte weniger als minimalistisch waren.
Der eine ging in etwa so:
Hallo, Papa, was machst du da, lahop, lahi, laha
Zeitgleich fing ich mit Fliegevogel an, eine neue Auftrittsform zu entwickeln. Wir gingen von meinem Überraschungshit «Chico war geritten» aus und überlegten uns erst mal einen Namen. Der Name ist immer am wichtigsten bei einer Band. Zuerst braucht man einen guten Namen, der Rest ist eigentlich egal.
Wir entschieden uns schließlich für «Die Amigos». Er umschloss das, was wir waren und sein wollten: zum einen Freunde, zum anderen Wölfe auf der Schafswiese des Schlagerbereichs. «Die Amigos» – das ging anders rein als der bedeutungsschwangere Kram, den wir vorher über uns gestülpt hatten. Ich schrieb uns einen Song auf den Leib, einen Vorstellungssong. Er hieß «Hallo, wir sind die Amigos» und fing so an:
Hallo, wir sind die Amigos,
hallo, die Sonne, sie scheint,
ohohoho, hallo, wir sind die Amigos
und wo wir sind, ist überall Sonnenschein.
Daraus wurde später «Hallo, ich bin Rocko Schamoni». Die Akkorde sind ungebrochen heiter, die Melodieführung bleibt einfach und eingängig. «Hallo …» wurde nach kürzester Zeit von allen, die den Song hörten, mitgesungen, er hakte sich sofort in das Melodiegedächtnis ein. Wir spürten das erste Mal echte Begeisterung im Publikum, wenn wir spielten. Wir drückten auf eine Stimmungsdrüse, die wir vorher immer gemieden hatten, die wir jetzt aber mit einer Art Antihaltung ausspielten. Antihaltung zur Antihaltung. Ein Bruch mit der Punkkonformität.
Karsten Hanke, unser Gangfotograf, sprach uns an, ob wir nicht auf einem großen Schulfest in Preetz spielen wollten, es wären diverse andere Bands dort und wir könnten für zweihundert Mark eine halbe Stunde lang auftreten. Fliegevogel und ich nahmen begeistert an. Wir glaubten an unser Startalent und probten gewissenhaft für den Auftritt. Mindestens einmal oder so. Das Fest fand an einem Samstagabend in der Aula des Preetzer Gymnasiums statt.
Fliegevogel und ich fuhren mit seinem Granada hin, wir hatten eine Gitarre und
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