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Dorfpunks (German Edition)

Dorfpunks (German Edition)

Titel: Dorfpunks (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rocko Schamoni
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beträchtliche Alkoholvorräte dabei. Karsten und Maria waren auch mitgekommen. Soundcheck gab’s für uns nicht, einen Großteil unserer Wirkung bezogen wir sowieso aus unserem Auftreten bzw. aus unserer ausgefuchsten Bühnengarderobe. Wir trugen alte Gabardine-Schlaghosen, Ponchos und Sombreros, dieses Outfit war unser Markenzeichen. Auf unseren Auftritt mussten wir ziemlich lange warten, vor und nach uns spielten Profibands im Stil von Def Leppard oder so. Fliegevogel nahm in kurzer Zeit beträchtlich viel Alkohol ein. Wir standen im Flur vor der Aula, als er mir mit glänzenden Augen eine Superidee präsentieren wollte. «Komm mit!», sagte er. «Ich habe was Tolles vor, schau mal!» Vor uns auf dem Boden saß ein Punk mit Iro und harrte gelangweilt der Dinge, die da kommen sollten. Fliegevogel stellte sich breitbeinig vor ihn und rief mir zu:
    «Jetzt … pass mal auf … super … pass auf!»
    Der Punk sah verwirrt zu ihm hoch. Fliegevogel öffnete seine Hose, holte seinen Pimmel raus und pinkelte dem Jungen einfach ins Gesicht. Der öffnete vollkommen perplex den Mund, um zu protestieren, bekam aber nur ein Gurgeln raus. Fliegevogel schaute mich begeistert an, in dem Moment war der Punk aber schon aufgesprungen und trat den immer noch pinkelnden Amigo von sich weg. Was das denn solle, schrie er ihn an, er würde ihn zusammenschlagen usw. Fliegevogel reagierte vollkommen verständnislos, das war doch nun echt Punkrock, oder? Ich ging dazwischen, um weitere Grobheiten zu verhindern, bekam aber langsam Zweifel an der Realisierbarkeit unseres Auftritts.
    Eine halbe Stunde später kamen wir dran. Die Aula war gerammelt voll, mindestens vierhundert Schüler standen im Raum, auf den Treppen, in den Türen. Die ambitionierten Poprocker vor uns hatten nach einem dürftigen Applaus ihr Equipment abgebaut und waren von der Bühne. Also los. Fliegevogel und ich enterten die Bretter von der Treppe aus und fingen an, mit den Mikros ins Publikum zu krakeelen. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich so etwas wie Entertainment betrieb, all unsere Punkauftritte vorher hatten wir zwischen den Songs wortlos absolviert. Aber jetzt gab es nichts außer uns beiden, keine lauten Amps, kein Schlagzeug, wir selber mussten wirken, durch uns. Die Musik spielte eine untergeordnete Rolle, alle merkten sofort, dass an uns etwas anders war, dass wir nicht ganz sauber waren, dass wir über uns selber lachen konnten. Man johlte uns zu. So etwas wie uns hatten sie noch nicht gesehen. Wir spielten einen Song, schrammelten, grölten, heizten uns selber auf, betonten immer wieder, wie super wir seien, und die Leute nahmen es an, reagierten, fanden uns wirklich super. Ideal. Nach drei Songs hatten wir die Aula komplett im Griff, Endorphin, Adrenalin, Glücksgefühle auf der Bühne, wie ich es noch nie erlebt hatte. Für totalen Müll. Positiv aufgeladenen Müll, der die Leute kickte. Wir wollten die Bühne nicht mehr verlassen, obwohl wir unser gesamtes Programm bereits gespielt hatten, immerhin vier Songs. Die nachfolgende Band drängelte, sah sich entthront von zwei Bauerndeppen mit Sombreros. Schließlich verließen wir die Bühne, umtost vom Jubel der Menge.
    Vollkommen benommen, immer wieder angesprochen von neuen Fans, wankten wir zum Ausgang. So geht das also. Eigentlich total einfach, man muss nur an die eigene Superkeit glauben. Wir feierten unseren Triumph die ganze Nacht.
    Als wir zurück nach Schmalenstedt fuhren, wurde es bereits hell. Fliegevogel ließ mich an der Brücke bei der Umgehungsstraße raus, um zu wenden und nach Hause zu fahren. Dabei ging sein Motor aus. Er versuchte eine Ewigkeit, den Wagen wieder zu starten, vergeblich. Schließlich schloss er von innen die Türen ab, klappte den Sitz zurück und legte sich schlafen. Das einzige Problem daran war, dass er mitten auf der Umgehungsstraße, also wirklich quer auf der Hauptverkehrsader zwischen Schmalenstedt und Saale stand. Er fiel in einen steinernen Schlaf und erwachte erst Stunden später durch das laute, dröhnende Geräusch, das die zwei Polizisten erzeugten, die mit ihren Fäusten wütend auf das Autodach einprügelten. Hinter ihnen standen in einer langen Schlange die Berufstätigen von Schmalenstedt, die genug davon hatten, Fliegevogel von den Amigos beim Schlafen zuzusehen. Den Führerschein musste er neu machen.

Das nächste große Muss
    Nach einem drei viertel Jahr im Berghof fing auch diese Institution an, mich zu langweilen, und ich blieb den

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