Dorfpunks (German Edition)
Gefühls der Verlassenheit nicht erwehren. Das war eine ziemliche Ernüchterung. Ich nahm es noch diverse Male, aber es war nie mehr so toll wie beim ersten Mal, und als die schlechten Gefühle danach und der Geruch von Lüge dabei die guten Gefühle überwogen, ließ ich es für immer sein.
Eines Abends war ein Teil unserer Gang wieder bei Danemann gewesen. Danach sollte es, wie gewohnt, zu Meier gehen. Pelle fuhr, neben ihm vorne saßen HB und Malte Becker (der zu dem Zeitpunkt der erste Popper Schmalenstedts war, mit Seitenscheitel und Lacoste-Klamotten, was ihm einen freundlichen, aber beständigen Hämeschwall einbrachte), hinten waren Dietrich, Flo, Karsten Hanke und Bonni, der einzige Schwule in unserer Gang. Alle hatten getrunken, und es waren natürlich viel zu viele für den relativ engen Citroën. Keiner schnallte sich an, und Pelle gab ziemlich Gas. Rote Ampeln wurden bei uns häufig mit den Worten «Gib Blei, is Punkergrün!» überfahren. Die Strecke von Grotewacht nach Behringsdorf ist eine schöne, gewundene Landstraße, die direkt zwischen der Ostsee und einem großen See entlangführt. Vor zwanzig Uhr eine beliebte Rentnerspazierfahrstrecke. Nach zwanzig Uhr eine beliebte Zu-Meier-Rennfahrstrecke.
Nach etwa drei Kilometern kam Pelle ein Ford Granada in einer Kurve entgegen. Beide fuhren zu weit in der Straßenmitte, sie knallten mit ihren linken Scheinwerfern zusammen. Pelle raste mit neunzig Sachen in das Feld neben der Straße. Der Wagen überschlug sich und blieb nach etlichen Metern auf dem Dach liegen. Flo kroch als Erster durch die kaputte Heckscheibe aus dem Auto. Überall hörte er Schmerzstöhnen, und er hatte Schwierigkeiten, den Unfallort in den Blick zu bekommen. Bonni saß mit blutüberströmtem Gesicht im Heck des Wagens, neben ihm Karsten, dessen Hand schwer verletzt war. Dietrich hatte eine schlimm aussehende Rückenverletzung, versuchte aber tapfer, sich in ein Gebüsch zu flüchten, da zu viele Insassen im Auto gewesen waren. Flo ging los zu Meier, um einen Arzt zu rufen und um Bier zu trinken. Derweil sickerte die Nachricht bis zu uns anderen in Schmalenstedt. Die Mädchen drehten durch, und die Gerüchtespirale schraubte sich ins Unermessliche. Am Anfang war von zwei bis drei Toten die Rede, langsam, von Telefonat zu Telefonat, sackten die Opferschar und die Schwere der Verletzungen auf ein überschaubares Maß zusammen.
Aber irgendwelche Blessuren und Schnittwunden trugen alle davon. Karsten allerdings war der Einzige, den es schlimmer erwischt hatte. Er verlor einige Glieder seiner Finger, was für uns alle Schock genug war, und verbrachte längere Zeit im Krankenhaus. Natürlich war der Unfall kein Grund, danach ein anderes Fahrverhalten an den Tag zu legen. Dazu sollten uns im Laufe der Jahre die Zeit und die Polizei bringen.
Der Sachsenstein
Es war zu Beginn meiner Lehre, als ich den Sachsenstein kennen lernte, den wichtigsten Hot Spot der kommenden Jahre.
Der zweithöchste Punkt Norddeutschlands nach dem Bungsberg mit seinen 174 Metern ist der Sachsenstein. Auf einem bewaldeten Hügel, drei Kilometer von der Ostsee entfernt, stehen eine alte Jagdzinne und ein schönes zweistöckiges Forsthaus, welches ein Restaurant mit Kneipe und eine Wohnung mit Dachterrasse beherbergt. Dieses Restaurant hatte etwa 1980 ein legendärer Wirt aus Hamburg übernommen, sein Name war Paul Mascher. Er war in den Siebzigern der Hamburger Szenewirt schlechthin gewesen. Als ihm der Rummel zu viel geworden war, hatte er sich den verwunschenen Ort im Wald bei uns ausgesucht, um ein etwas ruhigeres Leben zu beginnen. Er zog mit seiner Frau Marta und seinen beiden Söhnen Olliver und Jens in das Forsthaus, baute das alte Restaurant etwas aus, stellte ein paar gute Köche ein und war selbst ständig in der Bar hinter dem Tresen anzutreffen.
Der Sachsenstein wurde bald zum Treffpunkt für alle etwas wilderen oder fortschrittlicheren oder individualistischeren Typen ab vierzig, die es in der Gegend gab. Nachts gab es dort wilde Saufgelage, zumindest hatten wir das gehört.
Auf Dauer war Meiers ermüdend für uns, und deshalb durchforsteten wir ständig die Gegend nach neuen Hot Spots. Ich glaube, ich hatte durch Florian und David vom Sachsenstein gehört. Man erzählte mir, David wäre der Liebling jenes durchgeknallten Wirtes aus dem Wald, und dort würden wahnsinnige Nächte stattfinden.
Anfänglich weigerte ich mich, dorthin zu gehen. Da waren doch lauter Typen, die Vollbart trugen und so
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