Dorian
gefährlich werden. Es gab erste Anzeichen, das sich sein Dämon zeigen wollte. Seine Pupillen wechselten die Farbe ins dunkelrote. Seine Finger verwandelten sich in krumme Krallen.
„Was geschieht mit mir?“
Kyle hatte die Befürchtung er könne gleich auf seinen Partner losgehen und flüchtete ins Bad, denn ein Mord wäre das kleinste Übel an dem heutigen Tag gewesen. Er schaute seine Hände an. Es waren knochige Pranken mit spitzen Fingernägeln, die jeden in sekundenschnelle aufgeschlitzten konnten. Er brüllte seinem Spiegelbild entgegen. Es war ein verzweifelter Schrei nach seiner verlorenen Menschlichkeit. Wütend schmiss er Dorians Bademantel in die Ecke und stellte die Dusche an. Das eisige Wasser beruhigte ihn etwas und seine Hände nahmen wieder die gewohnte Form an.
Oh man, oh man… was ist nur passiert?
Währenddessen lief Dorian aufgewühlt auf und ab. Er hatte ihre Freundschaft für immer zerstört. Nun gab es kein zurück mehr, außer er köpfte seinen Freund, doch dazu wäre er niemals fähig gewesen. Es musste einen Weg geben, den auch Kyle begriff. Er würde sich mit seinen Fähigkeiten arrangieren, wenn er erst verstand sie richtig einzusetzen. Es gab schließlich nicht nur negatives am Vampirleben.
Immer und immer wieder haute Kyle seinen Kopf gegen die nassen Fliesen.
Warum? Warum nur?
Die Frage war Dorian ihm schuldig bevor er ihn tötete. Er wickelte sich ein Handtuch um, ging ins Wohnzimmer und kippte sich mit einem Schluck das Blut hinunter.
„Gut… lass uns reden. Ich habe Zeit.“
Dorian öffnete die Verandatür. Sicher ist sicher. Kyle war unberechenbar und vielleicht musste er auf dem schnellsten Weg flüchten wenn die Stimmung zu kippen begann.
„Komm zu mir Bruder.“
Kyle trat zu ihm hinaus in die Kälte. Sie war keineswegs unangenehm. Er konnte klarer denken und das Atmen fiel ihm leichter. Wenn er sich bemühte konnte er verstehen, was die Leute tief unter ihm auf der Straße sprachen. Es ging um Sex, verlorene Jobs, Missverständnisse.
„Es sind belanglose Dinge, die sie beschäftigen. Sie sollten sich lieber darauf vorbereiten, dass sie bald ernsthaftere Probleme haben werden.“
„Du kannst sie auch hören?“
Dorian setzte sich auf einen umgedrehten Blumenkübel.
„Ja… es ist schon sehr bedrückend. Sie verstehen nicht, ihr Leben zu genießen. Was sind ein paar Jahre gegen die Ewigkeit?“
Kyle atmete die Luft tief ein.
„Warum Dorian? Warum hast du mich nicht sterben lassen?“
„Was hättest du an meiner Stelle getan? Du warst schwer verletzt. Ich konnte dich nicht gehen lassen. Schon seit Jahrhunderten quält mich das Gefühl der Einsamkeit.“ Sehnsüchtig schaute Dorian in den Sternenhimmel. „Ich sehe sie mir jede Nacht an und sie haben nichts an ihrem Glanz verloren.“
„Seit Jahrhunderten? Was versuchst du mir klar zu machen?“
„Ich war fast 30 als ich mich in der Situation befand wie du jetzt. Man nennt es Wandlung. Ich habe die meiste Zeit meines Lebens in England verbracht und bin erst im Gewirr des zweiten Weltkrieges hier in Amerika gelandet. Eine Schiffsreise über Wochen hinweg hätte zu viele Opfer gefordert und das wollte ich vermeiden. So musste ich musste warten, was die Zeit so an Entwicklungen mit sich brachte. Ich wurde zum Vielflieger… habe die Welt bereist, bevor ich mich entschied hier in den USA zu bleiben.“
Kyle lehnte sich ans Geländer und schaute Dorian skeptisch an.
„Gewandelt? Moment mal… du willst mir jetzt nicht klar machen, das du ein Vampir bist? Das ich ein Vampir bin? Diese seltsame Frau in meinem Traum hat das Gleiche gesagt.“
Dorian bestätigte seine Antwort durch ein leichtes Kopfnicken.
„Du hast ihr doch nicht etwa in die Augen geschaut?“
Er hatte das Orakel komplett vergessen. Auch bei seiner Wandlung war sie hinter seiner Seele her. Jedem Menschen, dessen Qualen zu groß waren, bot sie an, seine Seele gegen Erlösung einzutauschen. Nur die wenigsten waren stark genug die Wandlung allein durchzustehen. Ein Blick in ihre leeren Augen genügte und du kamst als seelenloses Wesen zurück. Nosferatu war der erste, der auf diesen Deal einging und wie der drauf war, war jedem bekannt.
„Nein… sie war so hell, das meine Augen schmerzten. Ich stand vollkommen im Dunkeln. Wer war sie?“
„Das Orakel… sie ist das geistliche Oberhaupt unserer Rasse. So wie jede andere Religion ihren Anführer hat. Der Papst, Mohammed… Buddha. Nur sie ist nicht ganz neutral. Sie bietet zwar ihre
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