Dorian
wusste nicht, wie er sich aus diesem Sog befreien konnte. Das letzte Mal, als er sich so fühlte, war als er Sarah in Ketten gefesselt vor sich sah. Nie würde er den flehenden Blick in ihren Augen vergessen.
Dorian trat auf die Mansarde. Nach dem gestrigen Sturm war eine unheimliche Stille eingekehrt, kein Luftzug war zu spüren, als wäre die Zeit eingefroren. Der Mond ging langsam auf, aber er hatte an seinem Schein verloren. Dunkle Schatten lagen auf ihm und ein blassrosa Ring schloss ihn ein. Er wusste nicht, wie viel Zeit ihm noch blieb um Lascar zu finden. Er stützte sich auf die Absperrung der Mansarde ab. Er hatte das Gefühl, als ob die Hoffnung der ganzen Menschheit auf seinen Schultern lastete. Leider sah das Orakel nur die Zukunft eines geborenen Vampirs. Es war unnötig sie zu rufen. Sie stand sowieso auf Lascars Seite. Was interessierte sie einen gewandelten Niemand? Er hatte nur eine winzige Chance die Prophezeiung aufzuhalten und das konnte er nicht, wenn er hier oben rumstand und Trübsal blies.
Er nahm sich vor seinen Körper mindestens noch für zwei Stunden unter Kälte zu setzten und sich dann mit Kyle zu treffen. Das würde ihn vielleicht auf andere Gedanken bringen. Ohne die Unterstützung seines Freundes würde er es nicht schaffen.
„In Ordnung Kyle, wir treffen uns dann um zehn im ´ Spencers´. Wenn dich Brannon nicht raus lässt, dann melde dich. Ich werde mir dann was einfallen lassen.“
Dorian ließ den Glasdeckel des Sarges einrasten und nahm sich einen schwarzen Rollkragenpulli aus dem Schrank. Seine Hemden hatten sich auf eine kleine Auswahl verringert, denn die Wäscherei hier im Haus, war nicht gerade die Schnellste.
Er ging zum Wandtresor und nahm sich seine 9mm heraus.
Sicher ist sicher.
Er überprüfte die Munition und steckte sie sich hinten in den Hosenbund. Dorian brauchte seine Wohnung eigentlich nur um sich zu regenerieren. Doch hier tagelang ohne Aufgabe rumzuhängen, war nichts für ihn. Diese Stille machte ihn fertig. Er fühlte sich wie in einem modernen Hochsicherheitsknast, der nur bei Beginn der Dunkelheit seine Pforten für ein paar Stunden öffnete. Die Sommertage waren unerträglich lang und heiß für ihn. Hätte er hier nicht eine Aufgabe, würde er sicherlich ans Nordkap ziehen. Seine depressive Stimmung setzte sich in ihn fest, wie ein Virus, den man nicht abschütteln konnte.
Er zog den Hebel am Wandregal und betrat den Trainingssaal. Er lies die Kerzen aufflammen. Er blieb vor dem Bild seiner Mutter stehen.
„Ach Ma, gut das es dir erspart geblieben ist, mich so sehen zu müssen. Ich habe die Freiheit immer geliebt, nun bin ich ein Gefangener der Nacht. Ein Mörder… zur Ewigkeit verbannt.<
Dorians Mutter Ruth war an gebrochenen Herzen gestorben. Dorians Verlust hatte sie nie überwunden.
Es tut mir so leid Ma.
Er setzte sich in den alten viktorianischen Sessel und schaute in den Spiegel.
Du Monster… du unbarmherzige Bestie. Ich hasse dich!
Seine Schuldgefühle fraßen ihn innerlich auf. Er hatte noch nie davon gehört, dass ein Vampir Selbstmord begangen hatte, aber Dorian stand kurz davor sich einen Pflock ins Herz zu rammen. Ihm liefen die Tränen über die Wangen. Er war fertig, konnte nicht mehr. Er war nicht der Erlöser der Welt, auf den alle warteten. Er konnte niemanden beschützen. Jeder war auf sich allein gestellt. Kyle, Tess… er würde sie alle ins Unglück stürzen. Er ging zu dem kleinen Sekretär, öffnete die Klappe und nahm den silbernen Pflock heraus. Es würde ihn niemand vermissen.
Dorian war fest entschlossen zu gehen. Seine Kraft reichte nicht mehr aus.
„Es ist nur ein kleiner Schritt, Dorian. Du machst dich damit zur Legende.“ dröhnte es in seinem Kopf. Seine Hand zitterte.
Er hielt die silberne Waffe fest mit seinen Händen umklammert. Er schloss die Augen, hob langsam seine Arme und fiel auf die Knie.
Jetzt oder nie.
Schlimmer als sein Leben konnte der Tod nicht sein.
„Nein… Dorian… nein, bitte nicht.“
Im letzten Moment ließ er den Pflock fallen. Er schaute sich erschrocken um.
„Mutter?“
Aber er war allein. Nun litt er auch noch an Halluzinationen. Er hatte doch ihre Stimme gehört.
„Dorian, lebe weiter, lebe für dich und für die, die dich lieben.“
Da, schon wieder!
In einen weißen Schleier gehüllt, kam Dorians Mutter auf ihn zu.
„Mein Sohn.“
„Ma.“
Dorian lief auf sie zu, wollte sie umarmen doch sie war nicht real. Wie durch eine Wolke lief er durch sie
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