Dorn: Roman (German Edition)
ich dauerhaft in Anselieth weilen? Meine eigene Heimat in der Verantwortung anderer Leute lassen?«
»Du könntest jemanden als Truchsess einsetzen … und später könnten deine Kinder nach Falkenberg zurückkehren.«
»Meine Kinder ?«
Ich war von der Geschwindigkeit überrascht, die dieses Miteinander gewann.
»Entschuldige«, meinte Ellyn und blickte beschämt fort. »Das war … zu …«
Ich trat unsicher zu ihr und legte ihr die Hände tröstend auf die Schultern. Konfrontierte die Königin mich etwa mit meinen eigenen Wünschen und Sehnsüchten? War es nicht das, wonach ich mich sehnte? Eine sichere Zuflucht, nach Jahren der Zweifel. Ein Ort, zu dem ich gehörte. Lag er an der Seite dieser Frau?
»Dies sind verzweifelte Zeiten«, sagte ich. »Und es wäre schön, einen Ausblick auf eine friedlichere Welt zu haben. Wir klammern uns an Hoffnungen, Ellyn. An bloße Hoffnungen.«
Sie ergriff meine gesunde Hand.
»Ich weiß«, sagte sie. »Aber spürst du die Verantwortung nicht, die auf unseren Schultern lastet?«
»Schwerer, als mir lieb sein kann.«
»Dann weißt du, dass wir einander brauchen? Allein zerbrechen wir an all der Verantwortung, die vor uns liegt.«
»Wollen wir denn all jene Verantwortung?«, fragte ich, hin- und hergerissen von den Möglichkeiten. Hier war vielleicht die einzige Frau Dorns, die mich und mein Innerstes verstand. Aber hier lag auch der Thron des Reiches und ein Schrecken meiner Vergangenheit.
»Die Aufrichtigen sollten es sein, die diese Welt und ihre Bewohner regieren«, verstärkte Ellyn ihr Drängen.
Das war ein schön formulierter Gedanke.
»Ist es das, was dir den Mut verleiht, dich gegen deinen eigenen Vater zu stellen?«
Ellyn nickte entschlossen. »Dies sollte der Grund für all unser Handeln sein. Du … siehst es doch genauso, oder?«
»Ich würde es vielleicht noch ein wenig anders ausdrücken, meine Königin«, sagte ich und versuchte so sanft wie möglich zu klingen. »Diese Welt gehört all denen, die in ihr leben. Und wir Mächtigen sollten eindringlich versuchen, ihren Wünschen zu entsprechen und das Beste für sie zu tun. Wir sind die obersten Diener aller anderen.«
»Also würdest du bleiben?«
»Und die Last einer ganzen Welt auf meinen Schultern tragen? An einem Ort, an dem ich mich niemals heimisch fühlen würde, der mich seit zwölf langen Jahren in meinen Alpträumen verfolgt?«
»Ja, genau das.«
Ich schwieg für einen Moment. Dann stellte ich die Gegenfrage: »Was ist mit dir? Was wäre, wenn ich dich anders herum frage: Würdest du mit mir kommen und den Ehernen Thron jemandem überlassen, der ebenso aufrichtig ist, wie du es dir wünscht?«
»Und auf alle Throne verzichten?«
Ich strich ihr eine wilde blonde Locke aus dem Gesicht. Ihre Augen fixierten mich gebannt – und meine sie wohl ebenso.
»Nein«, meinte ich. »Du würdest zusammen mit mir über Falkenberg herrschen und für die Leute dort dein Bestes geben. Wir beide zusammen als Einheit.«
»Ich weiß nicht, ob ich das könnte.«
»Überlass die Sorgen hier den Leuten, die nicht daran zerbrechen!«, versuchte ich es.
Still sahen wir uns in die Augen.
»Lass uns erst einmal die nächsten Tage überleben!«, sagte Ellyn schließlich leise. »Lass uns nicht zerbrechen!«
Ich grinste verlegen und hilflos. »Ich denke, darauf können wir uns vorerst einigen.«
»Auch Liebe und Sehnsucht sind große Reiche, die regiert werden wollen.«
Und erneut zog sie mich zu sich heran und küsste mich. Wieder und wieder. Und die Nacht um uns herum entflammte lodernd.
Stöße in die Seite weckten mich. Zunächst sanft, doch mit zunehmender Nachdrücklichkeit. Schließlich schlug ich die Augen auf.
»Guten Morgen, mein lieber Graf«, begrüßte mich Lemander.
»Was …?«, begann ich und sah mich um. Zerwühlte Laken umgaben mich. Ellyn war fort und zu allem Überfluss war ich nackt.
»Ich stelle keine Fragen«, schmunzelte Lemander, dessen Lächeln jedoch im noch selben Augenblick gefror als er fortfuhr: »Aber deine Königin ist schon seit einigen Stunden wach. Sie wollte dich eigentlich von der Reise ausschlafen lassen. Aber es kam etwas ziemlich Ungünstiges dazwischen. Das ist auch der Grund, warum ich dich wecke.«
»Ziemlich ungünstig?«, gähnte ich und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Dem Licht nach zu urteilen, das hereinfiel, war es schon eine ganze Weile hell.
»Ja«, bestätigte Lemander. »Sie sind da!«
Sie sind da! Lemanders Satz hallte in den viel zu
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