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Dorn: Roman (German Edition)

Dorn: Roman (German Edition)

Titel: Dorn: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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zweihundert Schrittlängen über dem Meeresspiegel. Der Wind pfiff uns steil um die Ohren. Das Dach des sandsteinweißen Palastes war dreckig vom Kot vieler Seevögel. Es gab einen winzigen Schuppen, dessen Holzwände ebenfalls mit Sandstein befestigt waren. Darin wurden Ölfässer gelagert – kleine Ölfässer wohlgemerkt, Viertelfässchen, denn etwas größeres hätte man kaum den engen Weg hier heraufbekommen. Gefüllt waren sie mit einem besonders hell brennenden Öl.
    Und dann war da noch das Signalfeuer, eine enorme weiße Steinschale, in der jeden Tag bei Dunkelheit ein gleißendes Ölfeuer entzündet wurde, um Schiffen auch in großer Entfernung die Orientierung zu ermöglichen. Daneben standen zwei Ordenswachen und nickten uns zum Gruß zu.
    Aufbrausend zerrte der Wind an meinen Haaren und an meiner Kleidung und machte es trotz des Sommers empfindlich kühl hier oben. Doch der Blick war atemberaubend. Die gesamte Stadt war ringsum zu sehen, ebenso wie das Umland bis in weite Ferne.
    »Dort«, deutete Lemander unbeeindruckt von Wind und Höhe in Richtung Norden.
    Ja, man konnte es gut sehen. In sicherer Entfernung zu den Stadtmauern bezog eine schier unglaubliche Masse aus Kriegern und ihrer Begleitung im Tross Stellung. Wie Leonhrak bereits vorausgesagt hatte, belagerten sie lediglich den über Land gut zugänglichen Abschnitt der Mauern. Im Süden und Südwesten lag der Große Golf, im Osten führte zunächst ein dünner Arm des Flussdeltas eng der Stadtmauer Anselieths entlang – quasi als natürlicher Burggraben – und dahinter lagen die Sümpfe von Leith, ein großes Gebiet aus morastigen Tümpeln und Treibsanden, viele Meilen weit und hauptsächlich bewachsen von genügsamen Farnen. Aus diesen Richtungen ließ sich kein Angriff mit einem großen Heer führen.
    Ich schluckte bei dem Anblick der gewaltigen Anzahl Bewaffneter, die von Norden herströmten. Wovon war die Rede gewesen? Mindestens fünfundzwanzigtausend Kopf stark? Ich war nicht gut darin, solche Menschenmengen zu schätzen, aber das Heer dort unten schien mir bedeutend größer zu sein. Mir wurde schlecht bei dem Gedanken und ich war froh, nicht mehr als das bisschen Obst nach dem Aufstehen gegessen zu haben.
    »Sieht aus, als sei die Herausforderung diesmal ein wenig kniffliger als gegen die Riesen«, kommentierte Lemander, was er sah.
    »Wie kannst du so unbekümmert bleiben beim Anblick all dessen?«
    Lemander zuckte die Achseln. »Ich habe ein langes und erfülltes Leben geführt, Deckard. Wenn es mich jetzt erwischt, wäre das in Ordnung. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Der holt jeden von uns früher oder später auf die sonnenlose Straße. Ich habe nur Angst vor dem Sterben.«
    Ich nickte. Das kam mir sehr bekannt vor.
    »Dennoch werde ich mein Bestes tun, um jene zu unterstützen, die mir etwas bedeuten«, murmelte er leiser und nahm mich fest in den Blick: »Und jene, die mich durch Aufrichtigkeit und Loyalität beeindruckt haben.«
    »Danke«, meinte ich beschämt.
    »Nichts zu danken«, grinste Lemander mit seinem altbekannten Zwinkern. »Aber jetzt wird es Zeit, sich auf eine epochale Schlacht vorzubereiten, die noch in vielen Jahrzehnten, vielleicht sogar Jahrhunderten besungen werden wird.«
    »Oder verhöhnt wird«, ergänzte ich missmutig. »Je nachdem.«

Kapitel 16
    Lieder von Verlangen und Erdulden, von Sommer und Licht
    Bitter schmeckte der Wind, der mir die Haare aus dem Gesicht blies. Das schwere Fallgatter des nördlichen Stadttores öffnete sich langsam unter dem Rasseln der Ketten, die es trugen. Der Himmel hatte sich mit Wolken zugezogen und das Tageslicht wirkte schon viel zu herbstlich für einen Spätsommertag. Ellyn ritt auf einem stolzen Schimmel voran, die verwehenden Haare von ihrem Diadem festgehalten. Großmeister Eklipto folgte ihr auf einem Rappen, danach kamen ich und Leonhrak, sowie vier berittene Ordensleute.
    Wie hielten langsam auf einen Baldachin zu, den Serion und Pelikor hatten aufstellen lassen. Neben ihm flatterte an einer vier Schrittlängen messenden Bannerstange die Parlamentärflagge. Das Ganze lag außer Reichweite jeglicher Bogenschützen, mitten auf der planen Fläche am Ufer der lange Ronar.
    Wenige Schrittlängen vor dem Erreichen des Verhandlungsortes stiegen wir von unseren Pferden und ließen sie samt unserer Waffen in der Obhut der uns begleitenden Ordensleute. Unsere Gegenüber taten dasselbe, bevor sie unter den Baldachin traten.
    Serion von Gamar und Pelikor von Gramenfeld

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