Dornen der Leidenschaft
,sagte er leise. »Aber ich verspreche dir: Unsere Zeit wird kommen. Bald – bald werden wir für immer zusammen sein. Das schwöre ich dir. Und du mußt mir schwören, muñeca, daß du auf mich wartest, daß du mein sein wirst, immer mein. Schwöre es!«
»Ich schwöre es, mi amor, mi alma, niemals kann ein anderer in meinem Herzen wohnen. Und wenn es auch hundert Lebenszeiten dauert, bis wir zusammen sein können, ich werde auf dich warten – jetzt und immerdar.«
Der Mann küßte sie noch einmal mit großer Leidenschaft. Dann schwang er sich auf den Ast und kletterte den Baum wieder hinab. Aurora tat das Herz weh, und sie warf ihm die Rose zu, damit er eine Erinnerung an sie hatte. Nachdem er weggeritten war, legte sie ihren Kopf auf die Balustrade und weinte um das, was sie gerade erst kennengelernt und schon wieder verloren hatte.
Als Aurora ihre Augen öffnete, war die alte Jagdhütte verschwunden, und sie stand wieder auf dem Balkon des prächtigen Sommersitzes der Königin. Ihr Geliebter war fort. Nichts von ihm war übriggeblieben.
Als sie auf ihre Hand schaute, entdeckte sie einen winzigen Blutstropfen, an der Stelle, wo ein Rosendorn sie gestochen hatte. Bewegt preßte sie ihre Lippen auf die kleine Verletzung.
Ich war, dachte sie, in einer anderen Zeit. Dort habe ich meinem Liebsten geschworen, daß ich auf ihn warten würde – selbst wenn es hundert Lebenszeiten dauern sollte. Ach, mein Geliebter, werde ich dich jemals in diesem Leben finden können?
Als Hufgeklapper im Hof ertönte, erwachte sie aus ihrer Träumerei. Aurora seufzte und ging zurück in den Spiegelsaal. Sie wollte sich ruhig hinsetzen und noch einmal über das nachdenken, was gerade passiert war. Es war ihr klar, daß sie niemandem etwas darüber erzählen durfte. Die spanische Inquisition war zwar 1820 zu Ende gegangen, aber die wenigen Jahrzehnte, die seitdem vergangen waren, hatten die Erinnerung an die jahrhundertelangen Greueltaten doch nicht auslöschen können. Nein, sie durfte mit niemandem darüber sprechen, selbst nicht mit ihrer Großmutter, denn Doña Gitana war krank und würde sich nur unnötig aufregen.
Im Korridor ertönte Gelächter, und bald war der Spiegelsaal mit herausgeputzten, aufgekratzten Menschen gefüllt. Aurora hoffte, sich unbemerkt in eine Ecke drücken zu können, aber das war nicht möglich. Einer der königlichen Minister trat zu ihr und erinnerte sie daran, daß sie heute, nach einem Monat des Wartens, endlich eine Audienz bei Isabella haben würde.
Aurora konnte nichts tun, als abzuwarten, und ihr Herz schlug aufgeregt bei dem Gedanken daran, wieviel für ihre Familie vom Zusammentreffen mit der Königin abhing. Aurora dachte zitternd, was wohl passieren würde, wenn jemand von ihrem Erlebnis heute morgen auf dem Balkon erfahren würde.
Königin Isabella II. von Spanien war in diesem Sommer 1848 gerade siebzehn Jahre alt geworden. Wie ihre Mutter war sie groß und schön gewachsen, hatte helle Haut, kastanienbraunes Haar und große, dunkle Augen. Obwohl sie gute Lehrer gehabt hatte, wußte jeder, daß ihre Allgemeinbildung sehr schlecht war. Selbst wenn sie intelligent gewesen wäre – was sie nicht war –, hätte sie nicht das. Zeug dazu gehabt, ein Land wie Spanien zu regieren. Verschiedentlich war schon aufgefallen, daß sie nicht einmal über einen gesunden Menschenverstand verfügte. Niemand wußte, ob sie tatsächlich so dumm war, wie es den Anschein hatte. Sie hatte bislang noch nicht oft die Gelegenheit gehabt, ihre Führungsqualitäten unter Beweis stellen zu können.
Zu Beginn ihrer Regentschaft war sie zu jung gewesen, und ihre Mutter, María Cristina, hatte für sie regiert. María Cristina konnten nicht viele gute Eigenschaften nachgesagt werden. Und obwohl sie es geschafft hatte, in den unruhigen Zeiten die Krone ihrer Tochter zu retten, hatte María Cristina, unsicher wie sie war, doch ständig das politische Lager gewechselt und sich überall Feinde gemacht.
Aber das schlimmste war, daß sie eine unstandesgemäße Ehe mit einem Offizier eingegangen war, und dadurch allen noch verbleibenden Rest an Respekt eingebüßt hatte.
Als der spanische Bürgerkrieg 1839 mit dem Frieden von Vergara zu Ende ging, blieb María Cristina nichts anderes übrig, als Spanien zu verlassen. Bis 1843 regierte General Baldomero Espartero, und seine Nachfolger überließen der inzwischen dreizehn Jahre alten Isabella die Regierungsgeschäfte. Ein Jahr später kehrte María Cristina nach
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