Dornen der Leidenschaft
sie nur kurz Zeit haben würde, Isabellas Freundschaft zu gewinnen, und daß der Marqués bald herausfand, daß die junge Kammerzofe niemand anderes war als die Schwester von Don Basilio Enrique Montalbán y Torregato!
Aurora war sicher, daß Don Juan sie dann sehr viel interessanter fände als heute. Sie zitterte bei dem Gedanken. Sie mußte die Zuneigung der Königin erlangen – und zwar bald.
Ein paar Wochen später ergab sich eine günstige Gelegenheit. An einem schönen Sommertag entschied die vergnügungssüchtige Königin, ihre Kammerzofe mit auf die Plaza de toros zu nehmen, wo der berühmte Matador Raimundo de Oliva auftreten würde. Aurora, der es bei ihrem bislang einzigen Stierkampf übel geworden war, hatte ganz und gar keine Lust, hinzugehen. Isabella beharrte aber darauf, daß sie dabeisein müsse, ging sogar so weit, zu behaupten, daß die Abwesenheit des jungen Mädchens den Tag für die anderen verderben würde. Deshalb hatte Aurora keine Wahl – sie mußte die Königin begleiten. Sie versuchte ihre negativen Gefühle zu unterdrücken, die der bevorstehende Stierkampf in ihr auslöste, führte sich vor Augen, daß sie das Wohlwollen der Königin erlangen wollte, und kletterte mit den anderen in die Kutsche.
In der Arena war sie froh, daß für die Königin und ihren Hofstaat ein Sonnenschutz errichtet worden war. Es war heiß, und die Sonne brannte gnadenlos. Aurora fächelte sich Kühlung zu und wünschte, die Königin hätte ihr Schoßhündchen nicht mitgebracht, das vor Aufregung schrill bellte.
In einer feierlichen Prozession ritten die Matadore und der Torero in die Arena ein. Sie wurden mit begeisterten Hochrufen begrüßt. Ihre reich bestickten bunten Trachten stachen gegen die braune Erde der Arena ab.
Nach der Parade reichte der presidente municipal von Aranjuez, der auf dem Ehrenplatz neben Isabella saß, einem der Wachleute den Schlüssel für die Stierbox. Als das große Tier in die Arena getrabt kam, betrachtete Aurora es ängstlich, aber doch interessiert. Sie wußte, daß dieser Stier ein besonders starkes und wildes Tier sein mußte, sonst wäre er nicht für den Kampf ausgewählt worden. Heute würde er zum ersten und letzten Mal in der Arena erscheinen. Wenn er besonders klug und bösartig war, würde er einen oder mehrere Matadore töten, bevor er selbst sein Leben lassen mußte. Aurora, die Stierkämpfe verabscheute, hoffte heimlich, daß der Stier vor seinem Tod so viel Schaden wie möglich anrichtete. Sie wußte aber auch, daß er keinerlei Chance hatte, diesen Tag zu überleben.
Gegen Ende des Kampfes, als der berühmte Matador Raimundo de Oliva den inzwischen bis aufs Blut gereizten Stier tollkühn nah an sich herankommen ließ und erst im letzten Moment wegsprang, raste das Publikum vor Erregung.
Selbst Isabellas kleiner Spaniel bellte laut und versuchte immer wieder, sich aus ihren Armen zu winden. Als die Königin versuchte, den lästigen Hund einem ihrer Höflinge zu übergeben, entglitt er ihren Händen und jagte hinunter in die Arena. Die Königin erhob sich und schrie vor Angst laut auf. Das plötzliche Durcheinander lenkte sowohl Raimundo de Oliva als auch den Stier ab. Der Stier senkte seine Hörner und rannte auf den Spaniel zu. Der Hund begriff plötzlich, in welcher Gefahr er sich befand, und hetzte zurück zu Isabellas Loge, schaffte es aber nicht, über die hohe hölzerne Absperrung zu springen.
Auch später wußte Aurora nicht zu sagen, warum sie tat, was sie tat. Wenn sie erst darüber nachgedacht hätte, hätte sie erkannt, wie lebensgefährlich ihr Vorhaben war. Aber sie dachte nicht nach. Sie folgte blind einem Impuls und wußte nur, daß der kleine Spaniel von den Stierhörnern durchbohrt und von den Hufen zu Tode getrampelt werden würde, wenn ihm niemand zu Hilfe kam. Mit fliegenden Röcken schwang sie sich über die hölzerne Absperrung, packte den Hund und warf ihn in die Loge der Königin. Dann versuchte sie, den herangaloppierenden Stier im Rücken, über die Absperrung zurückzuklettern. Zu ihrem Entsetzen bemerkte sie, daß sie nicht genug Kraft hatte, um sich hochzuziehen. Ihr Herz klopfte wie rasend. In wenigen Augenblicken würde sie von den Stierhörnern durchbohrt sein. Santa María, rette mich!
Wunderbarerweise wurde ihr Gebet erhört. Ein paar caballeros erkannten die Lebensgefahr, in der das junge Mädchen schwebte, packten sie, und zogen sie über die Absperrung. Wenige Sekunden später bohrte der Stier in rasender Wut immer
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