Dornen der Leidenschaft
Visconde seinen Degen in die Scheide zurück, stellte den umgestürzten Pokertisch wieder auf und setzte sich. »Erlauben Sie mir, Ihnen einen Drink zu bestellen, Señor. Sie haben mir das Leben gerettet. Ich werde La Aguila genannt, stamme aus Spanien und bin erst vor kurzem hier in der Neuen Welt gelandet.«
Salvador streckte seine Hand aus, und der schwarzgekleidete Mann schüttelte sie mit festem Griff. »Ich werde El Lobo genannt.«
»Das habe ich gehört. Was möchten Sie trinken, Señor? Bier? Whisky?«
»Meskal.«
»Conchita« – der Visconde machte der Kellnerin ein Zeichen – »eine Flasche … Meskal für mich und meinen Freund.«
Als Conchita die Gäste lächelnd und mit schaukelnden Hüften bedient hatte, hob Salvador sein Glas.
»Auf Ihr Wohl, Señor«, sagte er.
»Salud! « antwortete El Lobo.
»Sie sprechen Spanisch, Señor«, sagte der Visconde, nachdem er den ihm unbekannten Agavenbranntwein probiert hatte, der gar nicht schlecht schmeckte. »Und Sie sprechen nicht nur Spanisch, sondern ein gutes Spanisch. Ich nehme an, daß Sie aus der Alten Welt stammen.«
»Das ist lange her«, antwortete der schwarzgekleidete Mann so abweisend, daß Salvador nicht weiter fragte und das Thema wechselte.
»Si, es kommt mir auch vor, als ob ich mein Heimatland schon vor Jahren verlassen habe. Ich muß noch viel über die Neue Welt lernen.«
»Nun, heute haben Sie eine wichtige Lektion gelernt … Aguila, stimmt’s? Ein Duell, wie Sie es nennen, kann hier innerhalb von einer Sekunde stattfinden. Sie werden nicht lange überleben, wenn Sie auf Ihren vornehmen Manieren bestehen. Wenn Sie nicht lebensmüde sind, legen Sie den Degen ab, und kaufen Sie sich einen Revolver.«
»Si, das leuchtet mir ein.«
»Was, zum Teufel, tun Sie hier – wenn ich fragen darf?«
»Das ist ganz einfach, Señor. Ich bereite eine Fahrt nach Santa Rosa vor.«
Salvador hatte noch nie einen so schnellen Wandel auf dem Gesicht eines Menschen gesehen wie jetzt. Alle bisherige Freundlichkeit wich von El Lobo. Es war, als ob er plötzlich eine kalte, harte Maske übergezogen hätte.
»Hab’ ich – hab’ ich irgend etwas Falsches gesagt, Señor?« fragte der Visconde verwirrt.
»Nein«, knurrte El Lobo. »Es ist nur so, daß ich dort gelebt habe und nicht gern daran zurückdenke.«
»Das tut mir leid, Señor. Aber vielleicht kennen Sie den Mann, den ich suche. Er muß heute ein älterer Herr sein und heißt Don Diego Ramón Delgados.«
Bei diesen Worten umklammerte El Lobos Hand das Glas so fest, daß es zerbrach und er sich schnitt.
»Wie ungeschickt von mir«, meinte er kühl, knotete sein Halstuch ab und verband seine blutende Hand. »Wenn Sie mich entschuldigen, Señor …«
»Aber natürlich«, sagte Salvador höflich, erhob sich und war noch verwirrter als zuvor.
Was hatte diesen Mann so erregt?
»Es tut mir leid, wenn ich Sie verärgert habe, Señor«, entschuldigte sich Salvador.
»Nein, das haben Sie nicht. Buenos días, Señor. Vielen Dank für den Drink.«
Mit diesen Worten verließ der schwarzgekleidete Mann den Saloon.
Der Mann, der El Lobo genannt wurde, lehnte an der Wand hinter dem Saloon und holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Er hatte sich schon lange nicht mehr so aufgeregt wie an diesem Abend.
Die lang vergessene Vergangenheit war plötzlich mit diesem Aguila wiederauferstanden. Wer war er – dieser Mann, der nach Santa Rosa wollte und Don Diego Ramón Delgados suchte? El Lobo mußte es wissen. Er war nicht immer ein Bandit gewesen. Sein wahrer Name war Rafael Bautista Delgados y Aguilar. Und der Mann, den Salvador suchte, war El Lobos Vater, der vor fünfzehn Jahren wegen eines Stück Landes namens Tierra Rosa ermordet worden war. El Lobo war damals erst zwölf Jahre alt gewesen. Aber bis zum heutigen Tag sah er seinen Vater am Boden liegen, sah das Blut, das aus dem Einschußloch zwischen seinen Augen geströmt war. Der Bandit konnte noch die entsetzten Schreie seiner Mutter hören, Doña Anna María, die der Mörder Gabriel North und seine Männer vergewaltigt hatten, bis sie an inneren Verletzungen gestorben war.
Der Mörder Gabriel North hatte den entsetzten zwölfjährigen Jungen ein Halbblut genannt und hatte geglaubt, daß er von einem einfachen Mexikaner und einer weißen Hure abstammte. Halbblut. Er, der vor dem Verrat Don Manuel de Zaragozas, der seine Familie zur Flucht gezwungen hatte, der Visconde Torreon gewesen war! Don Rafael Bautista Delgados y Aguilar.
Aber diesen
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