Dornen der Leidenschaft
genau überlegt. »Aurora, bitte vergeben Sie mir. Mein Verhalten heute nacht war unentschuldbar, und ich bereue es tief. Ich kann nur sagen, daß ich zuviel getrunken hatte und daß es mir sehr leid tut. Ich kann Ihnen versichern, daß so etwas nicht wieder vorkommen wird.«
Der Mann von heute nacht war nicht der, der jetzt vor ihr stand. Sie hatte einen primitiven Wüstling erwartet, statt dessen stand ein sehr höflicher Mann vor ihr, und sie wußte nicht mehr, was sie hatte sagen wollen. Die harten, verletzenden Worte, die sie sich zurechtgelegt hatte, erstarben auf ihren Lippen und erschienen ihr angesichts seiner Zerknirschtheit völlig unangebracht.
Nach wie vor glaubte sie, daß es das beste sei, Esplendor zu verlassen, aber ihre alten Ängste vor einer unsicheren Zukunft kehrten zurück. Wie konnte sie sich, Nicolas und Lupe ernähren? Ihre Unentschiedenheit machte ihr sehr zu schaffen. Sie fühlte sich außerstande, eine klare Entscheidung zu treffen. Es wäre besser, erst einmal hierzubleiben und abzuwarten, ob seine Reue wirklich ernst gemeint war. Sie holte tief Luft.
»Gut«, sagte sie und wurde rot. »Ich akzeptiere Ihre Entschuldigung, Señor. Wir wollen vergessen, was heute nacht passiert ist, und genau wie früher weiterleben.«
Aber das war natürlich nicht möglich. Alles zwischen ihnen hatte sich geändert. Die Fassade der Freundschaft, die ihr gegenseitiges Begehren verdeckt hatte, war eingerissen.
Im Laufe der nächsten Tage spürte Aurora die Leidenschaft immer deutlicher, die in der Sturmnacht entzündet worden war. Aguila war höflicher denn je zu ihr, verschlang sie aber mit den Augen, wenn er glaubte, daß sie es nicht bemerkte.
Einmal stand sie früher als gewöhnlich auf und kam an seinem Zimmer vorbei. Die Tür stand offen, und er wusch sich, bis zur Taille nackt, am Waschtisch. Sein braungebrannter Körper war so muskulös und wohlgeformt, daß es ihr den Atem verschlug. Aurora rannte mit klopfendem Herzen den langen Korridor entlang, und schloß sich in ihrem Zimmer ein.
22. KAPITEL
Esplendor, Peru, 1849
Es war über ein Jahr her, seit Mario die schöne spanische Señorita an der Plantage abgesetzt hatte, und seitdem hatte er sich immer wieder gefragt, wie es ihr wohl ging. Er hatte zwar gehört, daß sie die Plantage ganz gut im Griff hatte – aber trotzdem machte er sich gewisse Sorgen. Er hatte ein schlechtes Gewissen und wollte sich jetzt einmal persönlich davon überzeugen, daß es nicht falsch gewesen war, sie an diesem einsamen Ort allein zu lassen. Außerdem mußte er dem jungen Mädchen etwas hoffentlich Erfreuliches bringen – einen Brief aus Spanien.
Als das Kanu am Landungssteg von Esplendor anlegte, schaute sich Mario ungläubig um, und die Indianer flüsterten aufgeregt miteinander. Das konnte doch nicht dieselbe Plantage sein, die sie vor einem Jahr gesehen hatten!
Viele Hektar Land waren inzwischen gerodet und die Felder aufgeteilt worden, und gerade wurde gepflügt. Auch am Haus hatten die Renovierungsarbeiten schon begonnen. Das Dach war ausgebessert worden. Die eingestürzten Säulen und die vielen zerbrochenen Fenster waren erneuert worden.
Mario war überrascht. Er hatte es nicht für möglich gehalten, daß die zart wirkende Doña Aurora so viel leisten könnte. Er würde nie mehr eine Frau unterschätzen!
»Mario! Mario!«
Er sah, wie Señorita Aurora lächelnd und winkend herankam, die Seile auffing, die die Indianer ihr zuwarfen, und sie um Baumstämme am Ufer wand. Hinter ihr kam ein hochgewachsener, dunkelhaariger Mann heran, den Mario noch nie gesehen hatte, und Nicolas. Mario mußte lachen, als er den Affen sah, der dem Jungen auf der Schulter saß.
»Buenos días, Señorita«, rief Mario aus, als er an Land ging. »Ich habe mir monatelang Sorgen um Sie gemacht, weil ich Sie hier gelassen habe, aber jetzt sehe ich, daß das unnötig war. Wenn es böse Geister in Esplendor gegeben hat, dann haben Sie sie verscheucht.«
»Si« ,stimmte Aurora ihm zu. »Aber kommen Sie mit uns. Sie sind bestimmt müde und hungrig. Kommen Sie ins Haus, dort können wir uns unterhalten. Erinnern Sie sich an Nicolas?«
»Aber natürlich. Wie hätte ich ihn vergessen können? Geht es dir gut, Nicolito?«
»Sí, Sir. Mein Bein war gebrochen, aber der Bruch ist schon wieder geheilt.«
»Bueno. Und was ist das für ein kleiner Affe da?«
»Er heißt Bribon.«
Nicolas hatte ihn vor kurzem im Dschungel gefunden. Der junge Affe hatte sich an den Körper seiner
Weitere Kostenlose Bücher