Dornen der Leidenschaft
toten Mutter geklammert. Voller Mitleid hatte Nicolas ihn nach Hause gebracht, ihn gefüttert und gezähmt.
Nachdem Aurora Mario Salvador als ihren Geschäftspartner vorgestellt hatte, gingen alle ins Haus.
»Ach, Señorita!« rief Mario plötzlich aus und blieb stehen. »Das hätte ich ja fast vergessen. Ich habe einen Brief für sie, aus Spanien. Ich hoffe, daß er gute Nachrichten enthält.«
»Sí, das hoffe ich auch«, sagte Aurora und freute sich, als sie die Handschrift ihrer Mutter erkannte.
Obwohl sie merkte, daß die anderen neugierig auf den Inhalt des Briefes waren, schaffte sie es nicht, ihn vor ihren Augen zu öffnen. Sie steckte ihn in die Tasche, um ihn später in ihrem Zimmer zu lesen.
Endlich war Aurora allein. Sie zündete die Öllampe an und setzte sich auf ihr Bett. Dann erbrach sie das Siegel, zog den Bogen aus dem Umschlag und fing zu lesen an.
14. November 1848 Meine liebste Tochter, ich hoffe, daß Du diesen Brief bekommst und daß es Dir, Nicolas, Basilio und Francisca gutgeht. Dein Vater und ich, wir sind wohlauf, du brauchst Dir keine Sorgen um uns zu machen. Wir haben harte Zeiten hinter uns, aber wir haben mit Hilfe von Don Timoteo, Doña Catalina und anderen, die unsere Verbündeten geworden sind, diese schweren Zeiten überstanden und es geschafft, den Familienbesitz zu erhalten.
Die Königin hat sich über Dein Verschwinden sehr aufgeregt, aber sie muß Don Juan und Sor Patrocinio ihre Geschichte nicht ganz abgenommen haben, denn sie hat keinen Verhaftungsbefehl für Dich unterschrieben. Trotzdem finden Dein Vater und ich, daß es klug wäre, wenn Du nicht nach Hause zurückkehrst. Isabella hat viele Schwierigkeiten bei Hof zu bewältigen, und wir glauben, daß sie Dir nicht hinreichend Schutz gewähren könnte. Die Freundschaft mit Dir hat ihr viel Ärger bereitet, denn Don Juan und Sor Patrocinio haben immer wieder versucht, Dich vor ihr so schlecht wie möglich zu machen.
Don Juan will immer noch Rache am Haus de Monatalbán nehmen. Ich will Dich nicht ängstigen, aber ich fürchte, der Marqués hat herausgefunden, daß Du Dich in Südamerika aufhältst. Er plant eine Reise nach Brasilien und will von dort aus seine Suche nach Dir fortsetzen. Ich habe Angst um Dich, niña, denn ich glaube, daß er erst zur Ruhe kommt, wenn er seine Rachegelüste gestillt hat.
Durch die Porzellanfigur, die Du nach ihm geworfen hast, ist sein Gesicht von einer entsetzlichen Narbe entstellt, und mit einem Auge kann er kaum noch sehen.
Er hat mehr denn je vor, Dich zur Heirat zu zwingen, damit er Dich in seiner Gewalt hat.
Leider habe ich noch weitere schlechte Nachrichten für Dich, niña. Vor ein paar Tagen ist Deine Großmutter – Gott sei ihrer Seele gnädig – gestorben. Sie starb friedlich im Schlaf und mußte zum Glück nicht leiden. Ihre letzten Worte galten Dir. Sie sagte, Du solltest den Adler suchen. Ich habe keine Ahnung, was das bedeuten soll.
Nun, jetzt muß ich schließen. Laß es Dir gutgehen, niña.
Viele Grüße an Nicolas, Basilio und Francisca,
Deine Mutter
Auroras erster Gedanke war, daß sich der Brief ihrer Mutter mit ihrem überschnitten haben mußte. Inzwischen mußte sie erfahren haben, daß Basilio und Francisca nicht mehr am Leben waren. Und dann weinte das junge Mädchen lang über den Tod ihrer Großmutter. Erst viel später erinnerte sie sich an die letzten Worte von Doña Gitana.
Such den Adler.
Zuerst verstand Aurora gar nichts. Dann dämmerte es ihr plötzlich. Der Adler. Aguila. Ihre Großmutter hatte über Aguila gewußt. Unglücklicherweise konnte Aurora nicht ahnen, ob Doña Gitana sie vor dem Adler gewarnt oder ihn ihr empfohlen hatte.
Aurora zitterte bei dem Gedanken an Don Juan, der sich jetzt vielleicht schon auf dem Weg nach Esplendor befand, um Rache an ihr zu nehmen. Aber wie konnte er nur annehmen, daß sie ihn heiraten würde, wenn er sie fand? Er mußte wirklich verrückt geworden sein. Nichts auf der Welt konnte sie dazu bewegen, den Marqués zum Mann zu nehmen.
Sie mußte Aguila bewegen, sie zu verteidigen, obwohl das ein Risiko für ihn darstellte. Er hatte ihr ja erzählt, daß in Spanien ein hoher Preis auf seinen Kopf ausgesetzt worden war. Seine Auslieferung an die peruanischen Behörden käme einem Todesurteil gleich.
Der Weg den Korridor entlang zu Aguilas Zimmer kam Aurora wie der längste Weg ihres Lebens vor. Mehr als einmal wollte sie umkehren, aber sie zwang sich weiterzugehen.
Was würde er nach diesem
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