Dornen der Leidenschaft
Lebensgefahr beigestanden. Salvador wollte das glauben. Er mußte es glauben; sonst würde er verrückt werden.
26. KAPITEL
»Jemand hat dich absichtlich niedergeschlagen und danach das Haus durchsucht.«
»Sí« , antwortete Salvador ruhig. »Das stimmt.«
»Aber – aber warum?« fragte Aurora verwirrt. »Was mag der Mensch denn gesucht haben?«
»Den Schatz, querida. Den Schatz, den Don Santiago Roque y Aviles angeblich vor Jahrhunderten in Esplendor vergraben hat.«
»Ach, den«, brummte Aurora verärgert. »Ich kann es kaum mehr hören. Wenn er jemals existiert hat, wurde der Schatz bestimmt schon vor vielen Jahren gefunden und weggebracht.«
»Nein, der Schatz hat niemals existiert – jedenfalls nicht in Form von Gold oder Juwelen, wie alle Welt glaubt.«
»Wie kommst du darauf?«
»Ich weiß es auch nicht.« Der Visconde zuckte mit den Achseln. Er verstand wirklich nicht, warum er sich dessen so sicher war, ebensowenig verstand er die merkwürdigen Gefühle, die ihn überfallen hatten, als er Esplendor zum ersten Mal gesehen hatte.
Es war ihm gewesen, als wäre er nach langer Abwesenheit endlich nach Hause zurückgekommen. Er hatte sich auch sofort in dem großen Haus ausgekannt. Warum, das konnte er selbst nicht erklären.
»Aber eins ist klar«, sagte er zu seiner Frau. »Wenn Don Santiago El Dorado tatsächlich gefunden hat – und ich habe das Gefühl, daß das stimmt –, dann hat er sehr viel Gold besessen. Schau dich doch in Esplendor um, Aurora! In neugebautem Zustand muß es atemberaubend schön gewesen sein. Stell dir vor, was das gekostet haben muß. Der Marmor mußte aus Italien importiert werden. Ich denke, als Esplendor fertig war, war Don Santiagos Reichtum ziemlich geschrumpft. Und aus irgendeinem Grund glaube ich nicht, daß er noch einmal nach El Dorado zurückgekehrt ist. In El Dorado konnte er nicht das finden, was er sich wirklich ersehnte. Seine Geliebte Doña Arabela lag in Spanien in einem Grab.«
» Sí . Das ist sehr traurig, nicht wahr, diese Geschichte?« fragte Aurora leise. »Don Santiago muß Doña Arabela sehr geliebt haben. Wie herrlich es sein muß, so sehr geliebt zu werden.« Aurora hatte diese Worte ausgesprochen, bevor sie darüber nachgedacht hatte.
Dann schaute sie schnell auf. Was mußte Salvador von so einem Ausspruch halten? Er schaute sie forschend an, und sie wurde rot.
»Es ist traurig, daß es so geldgierige Menschen gibt«, sagte sie schnell, um ihn abzulenken. »Selbst Basilio hat an das Märchen von dem Schatz geglaubt«, fügte sie hinzu, »und das ganze Gelände umgegraben, statt das Haus wiederaufzubauen. Deshalb mußte er sterben. Sí, letzten Endes hat ihn die Geldgier umgebracht, wie all die anderen auch. Es ist irgendwie so, als ob Esplendor gewußt hätte, daß auch er ein Plünderer war. Es ist zwar sicher nur meine Einbildung, aber manchmal kommt es mir so vor, als ob dieses Haus lebendig wäre.«
»Ich dachte, dein Bruder sei an einer Tropenkrankheit gestorben«, gab der Visconde erstaunt zurück.
»Das glauben alle«, antwortete Aurora. »Aber direkt vor seinem Tod hat er behauptet, daß Ijada ihn vergiftet hätte – und vielleicht hat sie auch Francisca auf dem Gewissen – und daß sie in Wirklichkeit an gar keiner Krankheit gelitten haben.«
»Ijada!« rief Salvador überrascht aus.
Aurora zuckte mit den Achseln.
»Vielleicht sind das alles nur Hirngespinste. Vielleicht hat sich mein Bruder das alles im Fieberwahn nur eingebildet.«
»Ja, vielleicht«, murmelte der Visconde nachdenklich.
Die Zeit der Zuckerrohrernte rückte näher.
Es war ein schöner Morgen, und da es sehr früh war, war die Luft noch kühl. Obwohl andere Landbesitzer ihre Arbeiter – normalerweise Indianersklaven, die nicht protestieren konnten – zwangen, auch während der größten Mittagshitze weiterzuarbeiten, gewährte Salvador seinen Arbeitern mittags eine mehrstündige Pause. Und das hieß, daß die Arbeit morgens früh begann. Die Männer murrten nicht – für einen so großzügigen Herrn setzen sie sich gern voll und ganz ein.
Salvador hatte seinen Oberkörper entblößt und schwang – wie die anderen auch – unermüdlich die Machete. Reihe für Reihe wurde das Zuckerrohr geschnitten, von anderen Arbeitern auf Wagen geladen und zu der Scheune gefahren, in der das Zuckerrohr verarbeitet wurde. Aurora saß auf ihrem Lieblingspferd und überwachte die Ernte. Sie war froh, daß sie es gegen den Willen ihres Mannes geschafft hatte, bei der
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