Dornen der Leidenschaft
schleppte zwei kleine Ölfässer herbei. Das Geräusch der herannahenden Ameisen wurde immer lauter. Mit letzter Kraft holte Aurora noch Nahrungsmittel, Wasser und Brandy, den sie Salvador einflößen wollte, falls er erwachte.
Jetzt hatte Aurora alles, was sie brauchte. Plötzlich fiel ihr siedendheiß ein, daß sie die Streichhölzer vergessen hatte. Wie von Hunden gehetzt, hastete sie noch mal ins Haus. Als sie zurückkam, sah sie im hellen Mondlicht, daß sich ein dunkelroter Strom von wimmelnden kleinen Tieren vom Urwald her näherte. Mit zitternden Händen goß sie Öl über den hölzernen Kreis, in dem sie sich mit ihrem bewußtlosen Mann befand. Das Feuer flammte keinen Augenblick zu früh auf. Schon nahten die ersten Ameisen. Die Kolonne blieb stehen, teilte sich dann und zog links und rechts des Feuerkreises weiter. Aurora brach erschöpft zusammen und fing laut zu weinen an.
Ihr Schluchzen drang in Salvadors Bewußtsein vor. Er öffnete die Augen und stöhnte. Sein Kopf schmerzte zum Zerspringen.
Aurora hörte zu weinen auf und rief: »Salvador, ach, Salvador!«
»Aurora«, hauchte er leise.
»Sprich jetzt nichts. Du bist verletzt. Trink ein wenig Brandy.«
Sie hob seinen Kopf vorsichtig an und hielt ihm die Flasche an den Mund. Er trank ein paar Schlucke und richtete sich mühsam auf.
»Heridas de Cristo, querida, was ist geschehen?«
Aurora erklärte es ihm so ruhig wie möglich.
»Dios mío, Aurora!« rief Salvador entsetzt aus. »Ich kann es kaum glauben. Das hast du alles allein fertiggebracht!«
»Sí. « Sie nickte und war erleichtert, daß sie den Kampf gegen die Wanderameisen jetzt nicht mehr allein führen mußte. »Etwas Besseres ist mir nicht eingefallen. Selbst wenn ich dich ins Haus hätte schleppen können, wärst du dort nicht sicher gewesen. Ich dachte, daß nur Feuer diese entsetzlichen Tiere abschrecken könnte.«
»Du hattest recht, muñeca. Du hast mir das Leben gerettet – und dabei dein eigenes in Gefahr gebracht.«
Seine Stimme klang so gefühlvoll wie noch nie. Aurora senkte den Blick, und Tränen füllten ihre Augen. Er war ihr natürlich dankbar. Aber sie wollte seine Dankbarkeit nicht. Sie wollte seine Liebe.
»Ich – ich lege noch etwas Holz nach«, sagte sie. »Das Feuer darf nicht ausgehen.«
»Unser Feuer geht nie aus, Aurora«, antwortete er leise. »Unser Feuer brennt ewig.«
Die ganze Nacht zogen die Wanderameisen in einem breiten, endlosen Strom an ihnen vorbei. Sie liefen direkt durch das Haus und fraßen jede Schlange, die sich im kühlen Keller verborgen hatte, und jede Ratte, die das Unglück hatte, von ihnen aufgestöbert zu werden.
Erst als die Sonne schon wieder aufgegangen war, waren die letzten Ameisen weg, und Aurora und Salvador atmeten unendlich erleichtert auf. Ihre entsetzliche, nervenaufreibende Prüfung war vorbei, und sie fielen sich in die Arme. Jetzt konnten sie den Feuerring löschen, der sie gerettet hatte, und ins Haus gehen. Salvador stützte sich auf seine Frau, er fühlte sich noch schwach.
Der Visconde hatte nicht gesehen, wer ihn niedergeschlagen hatte, aber er hegte einen Verdacht. Und er wußte sicher, daß dieser Schlag ihn zur leichten Beute für die Wanderameisen machen sollte. Wenn Aurora ihn nicht gerettet hätte, dann wäre er bei lebendigem Leibe aufgefressen worden.
Er sehnte sich danach, seiner Frau zu sagen, wie sehr er sie liebte, jetzt mehr denn je, denn sie hatte, ohne auf ihre eigene Sicherheit zu achten, sein Leben gerettet. Aber Salvador schwieg. Er hatte ihren Gesichtsausdruck bemerkt, als er ihr für die Rettung gedankt hatte. Aurora hatte sich weggedreht, weil sie nichts von innigen Gefühlen wissen wollte. Sie hatte sich ihm hingegeben; aber sie liebte ihn nicht. Sie brauchte ihn nur, weil er ihr Schutz und Geborgenheit bot.
Nachdem er sich ein wenig ausgeruht hatte, ging er nach draußen und pfiff nach seinem Hengst, der instinktiv die Gefahr gewittert und das Weite gesucht hatte. Als Niebio endlich angetrabt kam, stieg Salvador langsam auf und ritt ins Camp, um den anderen mitzuteilen, daß die Wanderameisen vorbeigezogen waren. Er befahl ein paar Männern, Nicolas zu suchen, der verängstigt, aber unverletzt ein paar Stunden später mit seinem geliebten Bribon gefunden wurde.
Zum Angedenken an Auroras Mut und Tatkraft ließ Salvador dort, wo noch der Aschenring lag, einen großen Kranz Blumen anpflanzen.
Bestimmt war sie ihm wenigstens freundschaftlich zugetan, sonst hätte sie ihm nicht unter
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