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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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vermisste es, neben ihm zu liegen, obwohl es mir im Winter oft genug wie ein Angriff vorgekommen war, weil ich nach Colins Erinnerungsraub auf Trischen keine menschliche Nähe mehr ertragen konnte. Doch jetzt, in manchen meiner unendlich langen Nächte, die so ruhelos und gedankenzerfurcht geworden waren, wünschte ich mir ihn herbei, nicht nur in den gleichen Raum, sondern auf das gleiche Lager – ohne Berührungen, nein, Berührungen musste es nicht geben. Ich wollte ihn nur neben mir wissen. Seinen Atem hören. Sein charakteristisches trockenes Räuspern, das er ab und zu von sich gab. Die Vorstellung, dass jener Mensch neben mir lag, der mich tagsüber so oft zur Furie werden ließ, stimmte mich kurioserweise friedlich.
    »Wenn sich morgen nichts tut, unternehmen wir aber mal etwas«, verscheuchte Gianna meine Sehnsucht nach Tillmann. »Wir machen etwas, anstatt hier rumzusitzen, und wenn wir uns nur ein Paar Socken kaufen oder Locken in die Haare drehen. Okay, du brauchst das nicht.« Ein neidvoller Blick streifte meinen wilden Schopf, den ich schon lange seinem Eigenleben überlassen hatte. »Dann backe ich eben einen Kuchen. Einen Apfelkuchen.« Nun, das würde die Emanzipation im Westerwald nur schwerlich vorantreiben. »Nacht, Ellie.«
    »Nacht.«
    Gianna tapste an mir vorbei und schloss vorsichtig die Tür hinter sich, als könne sie das Haus in die Luft jagen, wenn sie zu heftig ins Schloss fiel. Ich schnaubte grinsend. Giannas Eigenheit, etwas besonders sanft und rücksichtsvoll zu tun, wenn sie eigentlich das Gegenteil wollte und genau spürte, dass Dynamit in der Luft lag, konnte mich zur Weißglut bringen. Doch mir war klar, warum sie sich so verhielt. Weil sie ebenfalls zu viel wahrnahm und interpretierte und nicht immer damit umgehen konnte, genau wie ich.
    Ihr Freund aber war ein größtenteils normaler Mann, der viel zu abgekämpft war, um sie jemals derart in Gefahr zu bringen, wie Colin es bei mir vermocht hatte. Ich hatte es nicht anders gewollt. Ich hatte mich entschieden, meinen Bruder zu retten – um jeden Preis. Dass Gianna und Paul ein Paar werden konnten, hatten sie Colin und mir zu verdanken. François hätte Paul vernichtet.
    Aber ich fühlte weder Triumph noch Stolz, wenn ich mir diesen Zusammenhang bewusst machte. Ich wollte jetzt nur eines: in der Musik versinken, bis ich das Gefühl hatte, von den Worten gestreichelt zu werden. Der Clip, den ich eben geladen hatte, war zu meiner privaten Foltermethode geworden, denn Gianna war überzeugt davon, dass er Colin am Schlagzeug zeigte. Das Schlimme war, dass ich es ebenfalls glaubte. Die Qualität des Clips war mies, sowohl was das Bild als auch den Ton betraf, und die Band selbst offenbarte noch viele Entwicklungsmöglichkeiten nach oben. Es musste eine Aufnahme aus den Achtzigern sein. Niemand würde sich heute freiwillig so anziehen wie Sänger, Keyboarder und Gitarrist. Nur der Drummer stach angenehm dezent heraus. Trotzdem war auch seine Frisur eigenwillig. Im Nacken kurz und auf dem Oberkopf aufgeplustert – etwas, was Colins Haare gerne ohne Spray und Gel erledigten. Sich aufplustern. Und dabei sacht hin und her wiegen. Manchmal auch züngeln.
    Das Gesicht des Drummers war kaum zu erkennen – und doch sah ich genug, um weiße Haut, einen betörend schönen Mund, kantige Wangenknochen und eine markante Nase auszumachen. Die Band spielte Swing of Things von a-ha, einen Song, den ich bis zu Giannas Videoclipattentaten nie zuvor gehört hatte, doch sie sendete mir umgehend das Original als MP3, wodurch dank des ländlich langsamen DSL beinahe eine Stunde lang unsere Internetverbindung blockiert war. Seitdem hörte ich diesen Song mindestens einmal am Tag, meistens vor dem Einschlafen oder beim Autofahren, und bekam bei den letzten Takten unweigerlich Gänsehaut, weil ich den Videoclip vor Augen hatte samt dem unruhigen Flimmern und Flackern, wenn die Kamera wenige Sekunden lang auf den Schlagzeuger – Colin? – gerichtet war. Denn er trommelte nicht nur, er sang auch die zweite Stimme, und genau das war es, was mir den letzten Zweifel nehmen wollte. Sie klang tief und rein und klar und … sexy. Oder wie Gianna es formulierte: »Die Stimmfärbung macht einiges wett und immerhin trifft er die Töne.« Ich fand ihn um Längen besser als den Sänger, der in den hohen Passagen regelmäßig scheiterte.
    Trotzdem hielten sich meine Zweifel, denn sie erlaubten mir, jene junge schwarzhaarige Frau zu ignorieren, die in der ersten

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