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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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Zootiere anzufallen? Was zählten denn die Träume anderer Menschen, wenn sie ihm ermöglichten, gezielter vorzugehen und mich dabei zu schonen?
    »Hey, schau mich mal an … Wo bist du mit deinen Gedanken?«
    »An keinen besonders schönen Orten«, antwortete ich heiser und strich unwillkürlich über den verheilten Bruch in meinem Finger. Es war nicht Tessa, die Colins Hunger anfachte. Tessa war tot. Es war er selbst. Weil er sich weigerte, sich zu dem zu bekennen, was er war und sein musste. Das war es, was zwischen uns stand und sich wie ein Dorn in meine Lippen bohrte, wenn ich ihn küsste. Jede Zärtlichkeit schmeckte bitter und brachte Schmerzen. Keine Nähe ohne fatale Folgen.
    Was war ihm eigentlich wichtiger? Meine Gesundheit oder die anderer Menschen, mit denen er gar nichts zu schaffen hatte?
    »Ich kann in deinen Augen nicht lesen … sie sind so schön, aber auch so entrückt …«
    Hatte ich diese Worte geträumt? Oder hatten sie sich wahrhaftig aus Angelos leicht geöffnetem Mund gestohlen? Wenn ja, musste es ein Versehen gewesen sein. Meine Augen? Schön? Das hatte noch nie jemand zu mir gesagt. Die Leute wählten da lieber andere Formulierungen. Andi zum Beispiel. In den ersten Wochen war er nicht müde geworden zu betonen, wie geheimnisvoll meine Augen doch seien. Als der Hormonrausch vorüber war, blickten sie ihm plötzlich zu finster. Ich solle doch nicht dauernd so böse gucken. Und Gianna hatte gesagt, ich würde einen manchmal total irre anschauen. Merci beaucoup.
    Angelos Hände lagen auf den Tasten, als wolle er jeden Moment zu spielen anfangen, aber er tat es nicht.
    »Ich muss grad an etwas denken …«, murmelte er. »Kennst du die Nocturne Nr.   20 von Chopin?«
    »Ich hör nicht viel klassische Musik«, gab ich unumwunden zu. »Meistens langweilt sie mich.«
    »Das geschieht, wenn man sie zu schnell konsumiert. Und genau das ist der springende Punkt: All die Jahrzehnte habe ich immer wieder an diesem Stück gefeilt und geübt und jedes Mal befand ich mich in einer anderen Phase, in einer anderen Verfassung und Reife. Nach und nach wuchs es, zeigte mir neue Facetten und Stimmungen. Es lebt auf, treibt immer wieder frische Blüten … und bleibt doch vertraut.«
    »Spiel es mir doch mal vor.«
    Angelo zog die Hände zurück. »Ich – nein, lieber nicht.«
    »Warum nicht? Stell dich nicht so an, du spielst in der Pianobar vor unzähligen Zuhörern, du müsstest das doch locker können.«
    »Ja, aber es ist was anderes, vor vielen Fremden zu spielen als vor einem lieb gewonnenen Menschen.«
    »Angelo …« Ich feixte ihn mahnend an. »Du willst mir ja wohl nicht weismachen, dass du in deinem Musentempel noch nie einer Frau auf dem Klavier vorgespielt hast. Dafür steht es hier doch herum, oder?«
    Er erwiderte mein Grinsen freundschaftlich. »Nein, es steht für mich hier herum, und ja, ich habe schon anderen Frauen darauf vorgespielt. Aber nicht diese Nocturne. Die gehörte bisher nur mir.«
    »Ein Grund mehr, sie endlich zu teilen.«
    Vielleicht mochten mein Gesicht schwer lesbar sein und meine Augen entrückt, doch bei ihm sah das in Situationen wie dieser nicht anders aus – und es störte mich nicht. Es befriedigte mich, seinen Regungen zuzusehen, ohne mich damit zu belasten, was sie meinen und bedeuten könnten. Ich wollte ihm seine Rätsel lassen.
    Ich wandte mich ab und tat so, als würde ich durch den Garten wandeln, der aus allen Winkeln und Ecken zu mir flüsterte, ein beständiges, zartes Zirpen und Wispern, bis Angelo es doch wagte zu spielen und die ersten weichen Takte durch die duftende Luft schwebten. Sie berührten mich so tief in meinem Inneren, dass ich die Musik nur in der Bewegung ertragen konnte, ein bittersüßer Schmerz, den ich besser herannahen und willkommen heißen konnte als all die Selbstkasteiungen in den Jahren zuvor. Ich verstand, was Angelo meinte, als er gesagt hatte, er brauche Zeit, um diesem Stück gerecht zu werden. Auch die Melodie brauchte Zeit und Raum, sich frei zu entfalten; es wäre ein Frevel gewesen, sie in einen geschlossenen Konzertsaal zu sperren und ihren klaren und doch so verschlungenen Linien die Freiheit zu nehmen. Sie musste wandern können wie ich, während ich ihr lauschte und dabei hinnahm, dass Angelos Antlitz fern blieb, verborgen vor mir, die Lider niedergeschlagen, der Mund schweigend, seine Hände bei sich.
    »Ich schmeiß dich jetzt raus, Süße«, sagte er, als wir uns neben der zerfressenen Putte wiedertrafen,

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