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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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habe.«
    Ja, Grischas oder Angelos und all die anderen Glücksritter ruhten in sich selbst und wurden sich nie langweilig. Wie sollte ausgerechnet ich das bezweifeln, wo es doch genau das war, was ich bei Grischa insgeheim bewundert hatte: seine lässige, unerschrockene Selbstverständlichkeit, mit der er dem Leben begegnete, das Glück fest in seinen Händen. Doch was bedeutete es im Gegenzug? Dass Colin nicht mit sich im Reinen war?
    Das Gewitter hatte sich zurück aufs Meer verzogen, doch noch immer erhellte sich der Himmel ab und zu in einem mystischen, fernen Flackern, das Angelos Augen türkis vor mir aufleuchten ließ. Dieses Getriebensein, von dem er gesprochen hatte – das mochte ich auch nicht, ich hatte es nie gemocht. Die Erwartungen, die jetzt schon an mich gestellt wurden, belasteten mich enorm. Garantiert erwartete jedermann von mir ein wissenschaftliches Studium mit guten Zensuren, mindestens Biologie, aber im Idealfall Medizin. Ein Studium, das ich möglichst bald beginnen sollte, obwohl ich mir nicht vorstellen konnte, wieder im kalten Deutschland zu sein, in überheizten Vorlesungssälen zu sitzen, zwischen Menschen, mit denen mich nichts verband außer unserem gemeinsamen Ziel, das uns gleichzeitig zu Konkurrenten machte. Was mir da draußen blühte, war ein stetiges Streben nach Leistung, Geld und Anerkennung. Mit dem Ergebnis, dass ich gegen die Besenreiser und das Knacken in meinen Schultern doch nichts ausrichten konnte. Offen gestanden verspürte ich nicht die geringste Lust darauf.
    »Was ist mit Kindern? Ihr könnt keine Kinder zeugen!«, rief ich matt triumphierend. Vielleicht konnte ich meine Erörterung ja trotzdem noch auf eine Fünf plus hochdiskutieren.
    »Das ist richtig. Aber das Thema erledigt sich eigentlich automatisch. Denn deine Menschenkinder würdest du überleben und das würden kein Vater und keine Mutter wollen.«
    Nun bereute ich es, diesen Punkt angesprochen zu haben. Er war mir zu heikel, zu nah. Nein, darüber wollte ich jetzt nicht nachdenken.
    »Aber es muss doch einen Grund geben, warum auch manche Mahre sterben wollen … Und ich finde, es ist ein hoher Preis, wenn man ständig Gier auf Träume verspürt und die Menschen berauben muss, um sie zu stillen. Eigentlich seid ihr doch die Getriebenen, nicht wir!« Vier minus? Eine Vier minus hatte ich verdient.
    Angelo stand unvermittelt auf und ging zu seinem Flügel, wo er sich auf den Hocker setzte und einmal langsam um sich selbst drehte. Mit den Fingerspitzen strich er über die Tasten, ganz sacht, sodass kein Ton erklang. Sein Blick war in sich gekehrt, viel zu weit weg von mir, obwohl ich nur wenige Meter daneben saß.
    »Was ist denn jetzt?«, fragte ich verunsichert. »Hab ich was Falsches gesagt?«
    »Nein, aber … Weißt du, egal, wie ich es nun formuliere und begründe, es wird so aussehen, als wolle ich ihn schlechtmachen, und diesen Schuh mag ich mir gar nicht erst anziehen.«
    »Wen, ihn? Colin?«
    Angelo sagte nichts. Also meinte er Colin.
    »Ich kann sehr stur sein«, warnte ich. »Verrate mir, was du denkst, wenigstens einen Bruchteil dessen. Ich möchte es wissen.«
    »Ich glaube nicht, dass das anständig wäre.« Er zierte sich nicht nur, es war ihm wirklich nicht wohl dabei. Nun wusste ich auch, warum er sich ans Klavier gesetzt hatte. Wahrscheinlich fühlte er sich dort sicherer als direkt neben mir.
    »Angelo, du bist ein Mahr, ich erwarte von dir nicht, dass du anständig bist. Jetzt rück schon raus damit …« Es machte mich zappelig, dass ich nicht mehr in seine Augen sehen konnte, aber ich wollte ihm auch nicht hinterherlaufen.
    »Vielleicht möchte ich ja auf meine Weise anständig sein. Okay … Pass auf, ich versuche es andersherum: Bist du Vegetarierin?« Endlich blickte er wieder zu mir herüber.
    »Nein. Hast du doch gesehen, als wir Pizza gegessen haben. Die Salami war göttlich.«
    »Hast du mal versucht, vegetarisch zu leben?«
    Oh ja, das hatte ich. Es war ein sehr kurzer Versuch gewesen. »Mit vierzehn. Aber ich hab’s wieder aufgegeben.«
    »Warum?«
    »Weil – ich finde dieses Frage-und-Antwort-Spiel übrigens ziemlich doof, das nur nebenbei – ich mich elend gefühlt hab. Ich bekam Bauchschmerzen und Verdauungsprobleme und mein Eisenwert rauschte in den Keller.« Mein Eisenwert war eigentlich immer zu niedrig gewesen, aber meine vegetarische Phase hatte einen handfesten Mangelzustand verursacht. Und die Tabletten dagegen hatte ich nicht vertragen. Ich wurde blass,

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