Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
Vom Netzwerk:
hoch. Die Heuraufe war leer, doch im Schuppen konnte ich einen halben Rundballen erkennen. Die Tomaten an der Gartenmauer waren seit Tagen nicht geerntet worden. Einige waren schon auf den Boden gefallen und zerplatzt. Winzige Käferchen wühlten sich durch ihr süßes Fleisch.
    Das hier war Niemandsland, verlassen und verwaist. Ich wollte die Läden wieder schließen, als sich plötzlich ein Geräusch zwischen das Zirpen der Grillen schob – ein Knarren und eine kurze Erschütterung, direkt über mir. Es war noch jemand hier. Einer war geblieben. Ich verließ das Schlafzimmer und schlich nach oben. Meine bloßen Füße verursachten kein Geräusch. Auch die Tür zu dem kleinen Zimmer mit den gekalkten, schrägen Wänden öffnete sich lautlos, als ich sie berührte.
    »Halt! Komm mir bloß nicht zu nahe! Bleib da stehen, ich warne dich!«
    Er hob die Hände, als wolle er das Kreuzzeichen machen. Sie zitterten. Seine mahagonifarbenen Augen waren von einem ungesunden, verzehrenden Feuer erfüllt und ließen seine helle Haut noch blasser wirken, als sie ohnehin schon war. Das Zimmer war zu einer Drogenhöhle verkommen. Schmutzige Wäsche übersäte den Boden, halb leere Flaschen standen herum, es roch säuerlich nach Erbrochenem.
    Tillmann trug lediglich ein ausgeleiertes, fleckiges Trägerhemd und eine Unterhose. Sein Oberkörper war mager geworden, seine Haare sträubten sich verklebt und ungekämmt in alle Himmelsrichtungen. Verkrustetes Blut klebte an seiner Nase.
    »Ich möchte dich um einen Gefallen bitten, Tillmann. Übermorgen, am Nachmittag.«
    »Du willst mich um einen Gefallen bitten?« Seine Stimme, einst so dunkel und musikalisch, klang zerstört. »Du wagst es, mich um einen Gefallen zu bitten? Nein, Ellie, bleib da stehen, keinen Schritt weiter!« Er fürchtete mich. Ich lehnte mich an die Wand.
    »Gut, nennen wir es anders. Lassen wir das mit dem Gefallen weg. Du musst nichts tun. Ich möchte nur, dass du mich hinbringst und in der Nähe bleibst. Ich möchte dich bei mir haben. Bitte. Du sollst es sehen. Aus der Ferne. Mehr nicht.«
    »Was soll ich sehen? Wovon redest du?« Das Zittern seiner Hände verstärkte sich. Mit unkontrollierten, abgehackten Bewegungen durchwühlte er seine Nachttischschublade, bis er eine Rolle Traubenzucker fand und sich zwei Stück in den Mund stopfte, als könnten sie aufhalten, was bereits seinen Lauf genommen hatte.
    »Ich werde mich verwandeln lassen«, erklärte ich ruhig. »Ich habe mich für das ewige Leben entschieden. Und ich möchte dich dabeihaben. Ich brauche einen Zeugen.«
    »Was willst du? Du willst –« Er brach ab. Fassungslos starrte er mich an. »Nein. Niemals. Das werde ich nicht tun. Und du wirst das auch nicht tun! Das tust du nicht!«
    »Ich habe mich längst entschieden. Ich muss auf die andere Seite, ich muss! Ich muss, Tillmann, bitte glaube mir. Ich muss.« Ich ließ mich auf die Knie fallen und sah tief in seine geäderten Augen. Doch er schaute weg. »Es gibt keinen anderen Weg.«
    »Den gibt es immer. Das war deine Devise, Ellie. Dass es einen anderen Weg gibt! Dass man Pläne fassen und umsetzen kann, selbst wenn alles andere verloren ist!«
    »Und warum hast du dann keinen anderen Weg gefunden?« Ich deutete auf seine zitternden Hände und die dünnen Papierchen, die überall zerstreut auf dem Boden lagen. Er hatte Unmengen konsumiert. »Tillmann, ich muss. Es ist das Richtige. Ich bin nicht fürs Menschendasein geeignet. Vertrau mir.«
    »Wie soll ich dir denn noch vertrauen, verrate mir das mal!? Ich bin dir doch scheißegal, das alles hier ist dir scheißegal, und dann willst du auch noch eine von denen werden! Was ist mit dem, was wir zusammen getan und erreicht haben, bedeutet dir das gar nichts? Hab ich mein Leben riskiert und mich selbst ruiniert, damit du jetzt umkippst und eine von ihnen wirst? Von ganz allein?«
    »Ja. Von ganz allein. Es ist das einzig Richtige«, wiederholte ich geduldig. Näher rücken konnte ich nicht, sonst würde er fliehen. Ich faltete meine Hände, als würde ich ihn anbeten. »Sei bei mir. Bitte sei bei mir, wenn es geschieht – nicht sichtbar, nur so, dass ich es weiß. Dass ich dich spüre. Sei dabei, sieh es dir an, vielleicht willst du es dann auch tun und alles wird gut …«
    »Nein. Nein, das werde ich nicht, das kannst du nicht von mir verlangen! Du weißt doch gar nicht mehr, wer du bist!«, schrie er. Sein linkes Auge begann nervös zu zucken. Angespannt zog er die Nase hoch. Er brauchte

Weitere Kostenlose Bücher