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Dornenkuss - Roman

Dornenkuss - Roman

Titel: Dornenkuss - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: script5
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wo keine Gefühle im Spiel sind.
    Wir waren zu wenige.
    Es ist schwer, nein, unmöglich, kluge letzte Worte zu finden, die ein Vater seinem Sohn sagen kann.
    Deshalb sage ich nur, dass ich Dich liebe und es immer getan habe, als Mensch und als Halbblut. Nicht die stärkste dämonische Gier in mir hätte daran etwas ändern können.
    Bleib, wie Du bist, ärgere Dich nicht über das, was Dir nicht gelingt, sondern freue Dich an dem, was Du bewirkst. Deine Patienten werden es zu schätzen wissen und Deine Frau wird Dir treu bleiben – weil Du es bist. Du bist treu, Paul.
    Ich weiß, dass Du es auch mir gegenüber warst. Ich weiß es.
    Und das macht mich glücklich.
    Leb wohl
    Dein Vater
    PS Hat Elisa zufällig eine Gianna Vespucci kennengelernt? Ich habe ihre Visitenkarte in den Safe gelegt. Ich habe sie auf einem Kongress getroffen und hatte sofort diese untrügliche väterliche Ahnung, dass sie eine gute Freundin für Ellie sein könnte. Gleichaltrige Mädchen sind mit ihr überfordert. Sie braucht jemanden, der gegenhalten kann.«
    Pauls Stimme war unverändert geblieben, während er mir Papas Zeilen vorgelesen hatte, doch als er den Brief zusammenfaltete und ich schluchzend zu ihm aufsah, bemerkte ich, dass auch er weinte. Es hatte mir schon immer tief ins Herz geschnitten, wenn mein Bruder weinte. Er tat es so still, dass es den Menschen oft verborgen blieb. Er schluchzte nicht, er tobte nicht, kein Wimmern, kein Schnauben verriet seine Seelenlage. Er weinte ohne Regung. Es kündigte sich nicht an; von einer Sekunde auf die andere waren seine Augen nass und das Wasser lief dünn über seine Wangen. Früher hatte Paul meistens aus Trotz und Wut geweint und die eigenen Tränen nährten seine Wut nur zusätzlich, sodass er mit verschränkten Armen und in sich gekehrtem Blick abwartete, bis seine Gefühle sich wieder beruhigten. Manchmal hatte er auch geweint, weil er glaubte, versagt zu haben.
    Nun weinte er aus Trauer, wie ich.
    Seit einer Woche tat ich fast nichts anderes, ich verbarrikadierte mich in meinem Bett, alle Türen meines Zimmers verschlossen und verrammelt, und weinte oder schlief. Ich konnte nichts anderes tun. Wenn ich aufs Klo ging, was nun mal nicht zu vermeiden war, tat ich es in einem unbeobachteten Moment, um niemandem zu begegnen, und passierte es doch, versteckte ich mich hinter meinen Haaren. Den Blick in den Spiegel mied ich wie die Pest.
    Abends saßen Paul, Gianna, Mama und Herr Schütz draußen auf der Terrasse – Dr.   Sand war schon am Tag nach Angelos Blendung abgereist, ebenso Morpheus – und redeten leise miteinander, während ich mir die Finger in die Ohren stopfte, um nichts verstehen zu müssen. Sie diskutierten über mich, vermutlich wie über eine Kranke, anders konnte es nicht sein, und ich würde es mir weder anhören noch Mamas Traurigkeit bewältigen können, wo sie doch wusste, dass der Mörder ihres Mannes um ein Haar ihre Tochter verführt hatte – nicht zum Sex, sondern zur Ewigkeit.
    Manchmal lachten sie sogar miteinander, was ich nicht verstand. Wie konnten sie lachen? Es machte mich nicht zornig, ich wollte es ihnen auch nicht vorwerfen, ich verstand es nur nicht.
    Papas Brief an mich lag gut verschlossen in meiner Nachttischschublade. Als Morpheus ihn mir gegeben hatte, hatte ich ihn sofort dort hineinverfrachtet. Ich wollte ihn nicht lesen – ich konnte es nicht. Nicht jetzt.
    Papa hatte es treffend formuliert; meine Seele schlug mit den Flügeln, aber sie wusste nicht, wohin sie aufbrechen sollte. Ich fühlte mich ebenso orientierungslos, wie Angelo es gewesen war, als er über das verdorrte Gras robbte. Die Stunden flossen zäh dahin, ohne dass ich sie einordnen konnte; ich wusste nicht, welchen Tag wir hatten, welche Woche, welchen Monat. Ich stellte nur fest, dass die Sonnenstrahlen jeden Morgen ein bisschen später durch die Ritzen der Läden drangen und das Licht abends schneller schwand.
    Doch welchen Monat schrieb der Kalender – August? September? Wie viel Zeit war vergangen, bevor ich im allerletzten Moment erkannt hatte, was richtig und was falsch war, nicht eingerechnet die hellen Momente auf Santorin bei Morpheus, in dessen Höhle ich mich gerne für immer verbarrikadiert hätte; nur die Steine, das Meer und ich?
    Ich hatte anfangs das Essen verweigert, weil sowieso nichts schmeckte und ich diesen ungesunden Gedanken hegte, dass ich keine Nahrung mehr verdient hatte, doch nachdem Mama mir damit gedroht hatte, mich ins nächste

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