Dornenkuss - Roman
überzeugt davon gewesen war, dass es ihr schadete.
»Colin hatte auch einen guten Instinkt«, ergänzte Gianna stolz, als habe sie persönlich ihn dazu erzogen. »Er hat mir gesagt, ich solle nicht in seine Nähe kommen, wenn ich es nicht möchte, und ich wollte ja immer von ihm weg … Wahrscheinlich deshalb.« Sie legte beschützend die Hand auf ihren Bauch. »Ist nicht böse gemeint, Ellie, aber Stress ist nicht gut für Schwangere.«
»Nein, ich bin nicht böse, du hast vollkommen recht! Du musst nach Hause fahren, Gianna. Und zwar bald.«
»Das wollen wir auch.« Sie sah mich entschuldigend an. »Du kannst mit Tillmann und Colin hierbleiben, wenn du magst. Ich möchte so schnell wie möglich zu einem guten Arzt und prüfen lassen, ob alles … ob alles okay ist. Mit dem Baby. Wir fahren heute Abend noch.«
»Natürlich. Verstehe ich. Dann – dann packt mal eure Sachen, ja?«
Meine Stimme wackelte bereits. Ich schaffte es gerade noch, in mein Zimmer zu stürzen und die Fensterläden zuzuschlagen, bevor ich zitternd auf den Boden sank. Gianna hätte jeden Tag ihr Baby verlieren können … Sie war mir sogar in den brennenden Wald gefolgt, zusammen mit den anderen. Es war ein Wunder, dass ihr nichts geschehen war. Das musste ein außerordentlich zäher und lebenswilliger Fötus sein, der es sich in ihrem Bauch gemütlich gemacht hatte. Wenn er denn gesund war … Gesund und normal.
Hatte etwas von Colin auf ihn übergehen können? Oder von Tessa? Von Angelo? Wusste Gianna um diese Gefahren? Aber was sollten das für Gefahren sein – das Kind war von Paul! Trotzdem, Tessa hatte Colin auch im Mutterleib geprägt. War sie Gianna nahe gekommen? Hatte sie etwas mit ihr angestellt?
»Nein«, sagte ich zu mir selbst. »Nein. Gianna ist nicht wie Colins Mutter, sie ist stark und fern von allem Aberglauben. Tessa hat ihr nichts antun können. Das wird ein wundervolles, gesundes Baby.«
Meine Schlussfolgerung dämpfte meinen Schrecken ein wenig, und ohne dass ich darauf vorbereitet war, machte er Platz für einen alles verzehrenden Neid, der die Tränen aus meinen Augen schießen und mich würgend schluchzen ließ. Mein Bruder wurde Vater … Gianna und er bekamen ein Kind. Sie würden eine Familie gründen. Sie hatten eben so glücklich ausgesehen! Sie hatten ihren Neuanfang gefunden, nicht geplant, sondern überraschend und wahrscheinlich ziemlich karriereschädigend, aber es war ein Neuanfang. Ich wollte noch immer kein Kind haben, daran hatte sich nichts geändert, ich war viel zu jung dafür. Aber ich spürte die meterdicke steinerne Mauer vor mir, die ich selbst hochgezogen hatte – und nun war ich zu feige, sie einzuschlagen. Niemand anderes konnte für mich eine Zukunft errichten. Ich musste es selbst angehen.
Es gibt nichts mehr zu tun, hatte ich gedacht, nachdem ich Angelo geblendet und mich von ihm weggedreht hatte, um hinunter ans Meer zu gehen. Ich hatte mich geirrt. Es gab noch etwas zu tun. Ich hatte mein Versprechen nicht eingelöst.
Nun tat ich es und meine Entscheidung war eine Sache von Minuten. Colin musste gewusst haben, wie schnell sie fallen würde, wenn ich erst einmal aufrichtig über seinen Wunsch nachdachte, ohne dabei nach meinem Vorteil zu suchen und die Wahrheit zu leugnen. Ich hatte gar keine Wahl. Alles andere führte ins Nichts und würde uns eine lebenslange Qual bescheren. Colins Leben würde ewig andauern. Das durfte ich ihm nicht antun.
Die Liebe erträgt alles, glaubt alles, hofft alles. Das mit dem Ertragen hielt ich für diskussionswürdig. Das mit dem Glauben auch. Doch das Hoffen … Die Liebe hofft alles. Ich brauchte Hoffnung. Sie war das Einzige, was mir helfen konnte. High Hopes.
Ich stand auf, lief die Treppe hoch und trat, ohne anzuklopfen, in Tillmanns Zimmer. Er lag auf dem Bett, die Arme unter dem Kopf verschränkt, und schaute den letzten Strahlen der Sonne zu, die rosafarbene Muster an die schräge Decke malten. Ich setzte mich still neben ihn, bis ich endlich meine Frage gefunden hatte.
»Wie viel kann ein Mensch ertragen? Wie viel?«
Er überlegte lange, bevor er antwortete, sachlich und durchdacht wie immer.
»Alles, glaube ich, solange man sich sicher ist, das Richtige zu tun. Auf dem richtigen Weg zu sein.«
»Hilfst du mir dabei?«
»Immer.«
Schweigend verharrten wir, bis es dunkel geworden war. Ich musste noch einmal mit Gianna sprechen, aus zweierlei Gründen. Zum einen wollte ich ihr wenigstens sagen, was ich von Colin über die
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