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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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sie stellte mich selbst infrage. Trotzdem wollte ich keinen der drei verlieren. Ich hatte nie Freunde gehabt wie sie.
    »Die nächsten Tage ist Colin sowieso in der Sila«, begann ich zu verhandeln, bevor es zu spät war.
    Gianna horchte auf. Natürlich war ihr die Sila ein Begriff; wahrscheinlich kannte sie den ausgedehnten, wilden Höhenwald Kalabriens und wusste daher, dass dieses Gebiet für Colin ein ideales Jagdrevier sein musste.
    »Colin hat gesagt, dass es dort Wölfe gibt«, fuhr ich hastig fort, als ich sah, dass ihre Aufmerksamkeit geweckt war. »Die gibt es doch, oder?«
    »Ja, das erzählt man sich zumindest …«, bestätigte Gianna zögerlich.
    »Er wird sie suchen. Wenn wir uns nahe waren wie heute Nacht, muss er erst einmal ausführlich jagen. Bis dahin kann uns nichts passieren, das verspreche ich dir. Ich will jetzt nicht nach Hause, Gianna. Ich möchte noch Zeit mit euch verbringen, hier in Italien. Bitte.«
    Meine Tränen tropften auf das Laken und meine nackten Knie. Ich verlor immer gegen sie. Manchmal hasste ich mich dafür.
    »Einverstanden. Nicht heulen, Ellie, es ist gut, wir fahren nicht. Dann betrachte ich meine Übelkeit eben als Diät. Ich habe sie zwar nicht nötig, aber na ja …« Gianna nahm meine Haare und bettete sie auf meine Schultern, um mir ins Gesicht sehen zu können. »Hey, Kleine, nicht weinen …«
    »Worüber hast du denn noch mit Colin gesprochen?«, fragte ich schluchzend, weil ich weitere Psychodialoge vermeiden wollte.
    »Nichts Besonderes. Was man halt so redet, wenn man einen nackten Mahr auf der Terrasse trifft. Viel Bla und Blubb ohne Sinn und Verstand. Aber, ach ja … er meinte, das Haus würde schimmeln und modern. Er roch etwas, was er nicht einordnen konnte und ihn stutzig werden ließ. Verstehe ich nicht. Es wäre das erste Haus, das in dieser Trockenheit modert.«
    »Colin hat eine Nase wie ein Hund. Er riecht alles.« Doch auch ich hatte keine Ahnung, was es gewesen sein konnte.
    »Um ehrlich zu sein, er hat mich so verwirrt, dass ich nicht einmal daran dachte, ihn nach eurem Glück zu fragen. Es fiel mir gar nicht ein. Mir kamen ausschließlich düstere Themen in den Sinn. Deshalb auch das mit dem KZ … Er trug ja nur sein Armband. Na komm, jetzt lass uns frühstücken. Weckst du Tillmann?«
    Gianna öffnete die Terrassentüren, bevor wir einen Hitzschlag erlitten. Es war noch nicht mal zehn Uhr und das Thermometer auf meinem Nachttisch zeigte bereits 32 Grad an.
    »Klar.« Tillmann musste man neuerdings zwingen, seinen Dachboden zu verlassen, und das ging am besten mit Essen. Vielleicht sollte ich das Thema Colin und Tessa wirklich für einige Tage hintanstellen und mich um meinen (ehemals?) besten Freund kümmern. Nach Giannas weitschweifigen Psychologisierungen erschien mir seine Wortkargheit erstrebenswert, auch wenn sie ohne Vorwarnung umschlagen konnte und Tillmann nicht minder weitschweifig zu dozieren begann. Doch mir war beides lieb.
    Es würde mir schon reichen, stumm neben ihm zu sitzen, wenn ich nur wieder fühlen konnte, was uns verband.
    Colin durfte auf keinen Fall recht behalten. Meine Freunde mussten meine Freunde bleiben. Ich durfte sie nicht verlieren.
    Wir hatten uns doch gerade erst gefunden.

DAS FLEISCH GOTTES
    Ich wollte noch ein paar Minuten verstreichen lassen, bevor ich mich anzog und zu Tillmann ging, und lauschte auf die Geräusche von der Terrasse, wo Gianna und Paul friedlich beim Frühstück saßen. Es erstaunte mich, wie gut sie sich verstanden, da ich Gianna als nicht sehr pflegeleicht empfand. An ihren guten Absichten zweifelte ich fast nie, doch sie konnte hektisch und penetrant sein, dazu zeigte sie eine bohrende Neugierde und unerwartete Dominanz, die in manchen Lebensbereichen hervorbrach und alle anderen zu ihren Haussklaven degradierte. Wenn ich darüber nachdachte, fühlte ich mich stets wie ertappt, denn Colin hätte mir diese Eigenschaften auch nachgesagt. Bis auf die Hektik. Hektisch war ich nicht mehr. Es war zu heiß dafür.
    Paul nahm Giannas Macken mit einer engelsgleichen Geduld hin, ebenso wie Gianna Pauls Konstitutionsschwierigkeiten und seine mahrbestimmte Vergangenheit mit Humor und schrägen Lebensweisheiten kompensierte. Es wäre zu viel gesagt gewesen, Paul als Trauerkloß zu bezeichnen, doch seine Schwere und die unterschwellige Melancholie, die er früher nicht in sich getragen hatte, wichen nie von ihm. Ich erinnerte mich mit Unbehagen an unser kurzes Gespräch gestern Abend, als ich ihn

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