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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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doch Angelo brach in ein lautes, herzliches Lachen aus und ließ sich zurück auf den blanken Boden fallen, obwohl eine Vespa, die aus dem Nichts aufgetaucht war, ihn knatternd umrunden musste. Mit dem Fuß stoppte er mich. Mein Blick fiel auf seine Sandalen. Die ersten modischen, kleidsamen Männersandalen, die ich jemals gesehen hatte, edel und lässig, vielleicht sogar sexy. Ein weiterer Pluspunkt für Italien.
    »Hey, bleib hier … Ich spreche deutsch und die Musik kommt aus den Boxen, mein offizieller Job beginnt erst in einer halben Stunde. Setz dich wieder. Alles in Ordnung. Du hättest dein Gesicht sehen sollen …« Er lachte immer noch, ein Junge, der sich an seinem gelungenen Streich erfreute. Ich konnte nicht sauer auf ihn sein. Sein Heiterkeitsausbruch war zu entwaffnend.
    »Okay, du bist also kein …« Im letzten Moment unterbrach ich mich. Schnauze, Ellie, dachte ich gehetzt. Was hatte ich hier sagen wollen? Du bist also kein Mahr? Wie sollte ein normaler Mensch das auffassen? Normale Menschen hatten mit Mahren nichts zu schaffen, wussten nichts von ihnen. Ich hatte mich viel zu lange nicht mit normalen Menschen umgeben. Irgendwann würde ich mich fürchterlich verplappern.
    Angelos Strahlen verblasste, als er mir zusah, wie ich mich wieder setzte, um Zeit zu gewinnen, aber seine Augen behielten ihr schelmisches Funkeln. Dennoch war auch in ihnen ein Ernst zu erkennen, der mir nicht behagte.
    »Doch, bin ich«, gab er offen zu. »Ich bin ein Mahr.«
    Sein unverblümtes Geständnis, das ich ihm nicht einmal hatte entlocken müssen, paralysierte mich. Ich konnte, nein, wollte es nicht glauben und spürte gallige Enttäuschung in mir aufsteigen, weil ich viel zu genau wusste, dass es stimmte. Sein Blick ließ keine anderen Deutungen oder Ausweichmöglichkeiten zu. Er log nicht und er machte sich auch nicht wichtig. Er sagte die Wahrheit.
    »Bitte nicht …«, seufzte ich zutiefst betrübt und ließ den Kopf auf meine Knie fallen, obwohl es mir wie ein Frevel vorkam, meine Augen von ihm abzuwenden. Er war ein Mahr. Kein Mensch. Schon wieder ein Mahr … Musste sich von nun an jeder faszinierende (alternativ: schreckliche) Mann als Dämon entpuppen? War es zu viel verlangt, dass es einen Typen à la Grischa gab, der menschlicher Natur war und mich wahrnahm?
    Zu spät schaltete mein Hirn auf Alarmbereitschaft und warnte mich vor der Gefahr, in der ich mich gerade befand. Wir hatten François unschädlich gemacht, hatten Tessa getötet, ich war mit einem Cambion zusammen, der uns dabei unterstützt hatte – und saß hier mit einem fremden Mahr in einer schmalen Gasse und hielt einen Plausch! War ich eigentlich noch bei Trost?
    Wieder unternahm ich einen Versuch, aufzustehen und wegzulaufen, doch das getigerte Katerchen krallte sich an meinem nackten Bein fest, was schmerzhafter war, als seine zarten Pfoten vermuten ließen. Ohne mich zu berühren, pflückte Angelo den kleinen Tiger mit einem sicheren, zärtlichen Griff von mir ab und setzte ihn auf seinen Oberschenkel.
    »Du musst keine Angst vor mir haben. Klingt blöd, ist aber so. Du hast wohl keine besonders hohe Meinung von uns, was?«
    »Na ja, ich … also echt«, entgegnete ich lahm. Um diese Frage wahrheitsgemäß zu beantworten, hätte ich mehrere ausschweifende Essays verfassen müssen. Wie sollte ich denn nach all dem, was ich erlebt hatte, eine hohe Meinung von Mahren haben? Gleichzeitig liebte ich einen von ihnen. Das konnte man nicht in ein, zwei Sätzen erklären. Aber wenn ich mich für eine einfache Antwort hätte entscheiden müssen, wäre sie in der Tat nicht außerordentlich positiv ausgefallen.
    Doch viel wichtiger: War ihm klar, mit wem er es zu tun hatte? Oder galt die Existenz von Mahren in diesem Land als ein bekanntes und geduldetes Übel? Nein, Letzteres wäre ebenfalls einem sehr surrealen Traum zuzuordnen. Ich war zweifelsohne wach. Und das wiederum bedeutete, dass …
    »Ich weiß, wer du bist«, erriet Angelo meine Gedanken. »Du …«
    »Und ich weiß es auch«, tönte eine mir äußerst vertraute, dunkelsamtige Stimme aus den Palmen. Wie eine düstere Höllenerscheinung trat Colin durch das Grün zu uns, um mir mit ausgestreckter Hand zu bedeuten, mich von ihm hochziehen zu lassen. Er wirkte weder eifersüchtig noch aufgebracht, aber auch nicht so, als könne ich mit ihm über seine Entscheidung diskutieren. Es wäre zudem nicht der richtige Zeitpunkt für Streitgespräche gewesen.
    Ich hatte keine Ahnung, was nun

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