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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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anzusehen, anstatt zu reden; vielleicht erzielte das eine bessere Wirkung.
    »Er ist ein Mahr, Ellie.«
    »Das weiß ich!«, rief ich, erleichtert, über Angelo sprechen zu können. »Er hat es mir gesagt und ich hatte es mir sowieso gedacht. Er hat gar nicht versucht, es zu verbergen. Außerdem meinte er, dass ich vor ihm keine Angst haben muss.«
    »Wie putzig«, spottete Colin. »Ich hatte dir etwas mehr Intelligenz zugetraut, Elisabeth. Er ist ein Mahr, ich sage es gerne noch einmal. Gegenüber Mahren ist es das Beste, grundsätzlich gar nichts von dem zu glauben, was sie sagen. Täuschung liegt in ihrem Wesen.«
    »Ja, das mag vielleicht stimmen, wenn sie ihre wahre Natur verleugnen, aber das tut er nicht!«
    Colin stöhnte auf. »Wie soll ich es dir nur begreiflich machen? Du kannst einem Mahr nicht trauen, ganz egal, was er sagt, tut und vorgibt zu sein! Mahre sind immer gefährlich, immer!«
    »Ach ja? Merkst du eigentlich, was du da sagst?«, fuhr ich ihn an. »Ich kenne diese Leier schon, mein Vater wollte mir das auch einbläuen. Traue keinem Mahr. Wenn ich es geglaubt hätte, wären wir beide nie zusammengekommen. Du schneidest dich ins eigene Fleisch. Oder hast du mich die ganze Zeit angelogen, hm?«
    »Nein, aber in Gefahr bist du bei mir trotzdem, falls dir das die vergangenen Monate nicht aufgefallen sein sollte.« Colin hatte seine Augen nach draußen in den dunklen Wald gerichtet, während er antwortete – bekam er schon wieder Hunger?
    »Ich will ja gar nicht behaupten, dass Angelo ungefährlich ist«, lenkte ich etwas besonnener ein. »Aber er ist ein Mahr, er bekennt sich dazu und er könnte uns vielleicht wichtige Informationen geben, wohin mein Vater verschwunden ist. Er machte einen gesprächigen Eindruck. Ich möchte ihn jedenfalls wiedersehen und …«
    »Nein. Nein, das wirst du nicht.«
    »Das entscheide ich immer noch selbst«, fauchte ich.
    »Ellie, wie weit willst du eigentlich noch gehen? Wie weit? Was muss passieren, damit du begreifst, mit wem du dich eingelassen hast? Muss erst jemand von euch sterben, bevor du es verstehst?«
    »Nein, aber …« Ich sah meine Argumente davonschwimmen. Themawechsel. »Warum hast du mich an diesen gottverlassenen Ort gebracht?«
    »Weil ich hier jagen gehen kann, falls der Hunger zurückkommt, und wir dadurch die Möglichkeit haben, länger als sonst miteinander zu sprechen. Außerdem wollte ich dir vor Augen führen, wie ich lebe.«
    »Ich weiß, wie du lebst, Colin«, sagte ich abweisend.
    »Nein, ich denke, das weißt du nicht. Du willst es nicht wissen. Ellie, mein Herz …« Er griff nach meinen Händen und nahm sie in seine, unsere erste liebevolle Berührung in dieser Nacht. »Kannst du dir nur für einen Moment vorstellen, wir wären Freunde und du würdest mir als Freund zuhören, mich als Freund zu verstehen versuchen?«
    Über uns schrie ein Vogel, gierig und jagdlustig. Er freute sich aufs Töten. Wieder drang eine Schwade Brandgeruch in meine Nase. Ich schwieg, während meine Gedanken einen zähen Knoten bildeten. Mit Colins Bitte hatte ich nicht gerechnet. Ihm als Freund zuhören? Nur als Freund? Worauf wollte er hinaus – und wie sollte es mir gelingen, meine Liebe zu ihm zu vergessen?
    »Ich … ich weiß es nicht«, gestand ich. »Ich glaube nicht, dass ich das kann. Ich würde mir immerzu wünschen, dich anfassen zu dürfen, bei dir zu sein, und wenn ich wirklich nur ein Freund wäre, dann würde ich mich jede Sekunde fragen, warum ich mich nicht in dich verliebe.«
    »Ach, Lassie …« Colins Stimme fühlte sich an wie ein Streicheln. Er beugte sich nach vorne, umgriff behutsam meinen Nacken und zog mich ein Stück zu sich, sodass er seine Wange an meine lehnen konnte. Ich wusste nicht, wie lange wir so saßen, unsere Gesichter aneinandergeschmiegt, kalt und warm. So hatte ich ihn manchmal bei Louis stehen sehen, ein Ausdruck großer Achtung und Liebe. Ich kämpfte gegen meine Tränen an. Als es mir einigermaßen gelungen war, ließ er mich wieder los.
    »Kannst du es trotzdem versuchen?«, fragte er bittend. Ich nickte, obwohl ich ahnte, dass es mir nicht glücken würde. Selbst als er nach dem Kampf mit François ein hässliches, entstelltes Bündel gewesen war, hatte ich ihn noch geliebt. Er schaute auf seine Hände, während er zu sprechen begann, Worte, die ich niemals hatte hören wollen und vor denen ich schon seit Wochen fortrannte.
    »Ich wünsche mir, dass du begreifst, wie mein Leben beschaffen ist. Ich komme mir vor

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