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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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weiß es nicht«, antwortete ich tonlos und strich über seine erhitzten, nassen Augen. »Aber wir sind ihm das schuldig. Ich bin es ihm schuldig. Er hat mich immer wieder gerettet und jetzt muss ich ihn retten. Ich höre ihn, du musst verschwinden … schnell … Sonst wird es zu gefährlich für dich.«
    Ich schob ihn von mir weg, obwohl sich seine Hände erneut nach mir ausstreckten. Ich musste daran denken, wie sie über Colins Gesicht getastet hatten, andächtig und zart. Ja, ich nahm ihm seinen besten Freund.
    »Okay.« Tillmann schluckte und versuchte, sich zusammenzunehmen. »Ich verschwinde durch die Hintertür. Hier ist die Fernbedienung.«
    Wir zuckten beide voreinander zurück, als wir ihn von draußen rufen hörten. Er schrie meinen Namen. Tief und hohl schallte seine Stimme durch die warme Abendluft. »Elisabeth!« Sirrend stoben die Fledermäuse auseinander. Die Zeit drängte. Er würde nicht vor dem Haus stehen bleiben. Er würde mich heimsuchen.
    »Drücke den grünen Knopf, sobald er drinnen ist, ja? Den grünen Knopf. Dann geht es von allein los.«
    »Hau ab, Tillmann, lauf durch den Garten und über die Bahnschienen, mach schon!«
    Heulend stolperte er zur Tür. Dann hörte ich, wie seine Schritte die Treppe hinabjagten. Ich stieß die Flügeltüren des Dachzimmers auf, betrat den Balkon und schaute nach unten, wo Colin mit zerzaustem Haar und vom Wahnsinn gezeichneten Blick über die einsame, staubige Straße schritt. Sein Hemd hing zerfetzt an seinem Körper, weil er es in seiner aussichtslosen Suche zerrissen hatte, seine Wangen waren totenbleich. Scharf und dunkel zeichneten sich seine Knochen darunter ab.
    »Wo ist mein Pferd? Wo ist Louis?«, brüllte er zu mir hoch. »Ich habe ihn seit zwei Tagen nicht gesehen. Er ist weg. Weg!« Er schlug sich die geballte Faust ins Gesicht. »Wo ist Louis?«
    Mit verschränkten Armen starrte ich auf das Bündel Elend hinab.
    »Elisabeth, rede mit mir. Wo ist er?«, schrie Colin.
    »Nicht hier«, sagte ich kalt. »Ich weiß nicht, wo er ist.«
    »Das ist nicht wahr, du lügst! Du lügst!«
    Er riss das Tor beinahe aus der Verankerung, als er es öffnete und mit fliegenden Schritten die Stufen hoch zur Terrasse nahm. Ein eisiger Lufthauch drang zu mir. Ich roch den Tod. Er war so stark.
    Ich ging zurück ins Haus, um ihm entgegenzukommen. Erst nahm ich den Dolch in die rechte Hand, dann hob ich die Fernbedienung mit der linken auf, hielt sie in die Luft und drückte den grünen Knopf. Ich hatte keine Ahnung, was jetzt geschehen und was wir erleben würden. Ich hatte Tillmann blind vertraut und mich hier oben verschanzt, seitdem ich aus dem Wald zurückgekehrt war, um zu warten. Bis vor wenigen Minuten hatte er daran gearbeitet, dann war er vor Erschöpfung und Schlafmangel beinahe zusammengebrochen. Doch er hatte es vollenden können.
    Mein Herz begann zu bluten, als der Gesang und die Streicher einsetzten und Colin mit roher Gewalt gegen die Tür hieb. Tillmann hatte auf der Musik bestanden. Musik, die durch alle Räume wehte und den Schmerz vervielfachen würde, falls er zu belanglos war. Doch das war er nicht.
    »Wo ist mein Pferd?« Krachend gab das Schloss nach. Die Eingangstür schwang auf und fiel durch die Wucht seiner Schläge sofort wieder zu. Wir waren miteinander gefangen.
    Wie eine Scharfrichterin, den Dolch in der Hand, trat ich auf die oberste Treppenstufe. Colin konnte sich kaum mehr aufrecht halten. Schwer atmend sah er sich um, doch es gab keinen Ausweg vor dem, was wir erblickten. Schatten überall, auf dem Boden, den Wänden, der Decke, schwarzgraue Schatten, die ihm seine Seele zerfetzen würden. Und meine dazu.
    . »Nein …«, drang es aus seiner Kehle, als er erkannte, was sie uns zeigten. Es war Louis – Louis, der wiehernd versuchte, zu fliehen und den Quälereien zu entkommen, er blutete schon, es sprudelte in Fontänen aus seinem Hals und seinen Beinen, dann Großaufnahme von seinen vor Angst geweiteten Augen, in denen das Weiße blitzte. Er schrie nach seinem Herrn, warum war er nicht da, um ihm zu helfen? Warum hatte er ihn im Stich gelassen?
    Wieder erhob Tillmann das breite, besudelte Schlachtermesser, sein Grinsen in irrsinnigem Hass verzerrt, die Pupillen geweitet und starr. Brutal schob er es in Louis’ muskulösen Hals, obwohl das Pferd schon mit verzweifelt schlagenden Hufen am Boden lag und nicht mehr aufstehen konnte.
    Dann Schnitt auf Angelo und mich, zusammen am Strand, die Sonne schien auf unsere Haut. Ich lachte

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