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Dornenkuss

Dornenkuss

Titel: Dornenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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mit Fell? Und wo war die Flasche geblieben? Mein Herz pochte erzürnt, als ich erneut meine Finger nach unten bewegte. Mit Schrecken stellte ich fest, dass mein Tastsinn mich nicht in die Irre geführt hatte. Ich spürte Fell unter meinen Fingerkuppen, Fell und die zarten Rundungen sanft gebogener Rippen, die sich durch dünne, zähe Haut drückten.
    Mit angehaltenem Atem öffnete ich meine Augen. Über mir spannte sich der tiefschwarze Nachthimmel, dessen Abertausend Sterne mich blinkend begrüßten. Ich lag wie vorhin auf dem Rücken, die Beine ausgestreckt. Aber ich befand mich im Freien. Links neben mir berührten meine Fingerspitzen sonnenwarme Steine und … Fell. Was aber war auf der anderen Seite? Ich ließ meinen rechten Arm hinabgleiten, doch meine Hand fasste ins Leere. Da war nichts. Ganz langsam, bei jedem Millimeter darauf bedacht, mein Gleichgewicht zu kontrollieren, richtete ich mich auf. Trotzdem hatte ich das Gefühl zu fallen, als ich den Abgrund neben mir sah. Jede hektische, unkoordinierte Bewegung konnte meinen Tod bedeuten.
    Ich wagte erst wieder zu atmen, als ich mich von der Mauer weg auf die Pflastersteine der Gasse gesetzt hatte. Schlotternd lehnte ich meinen Rücken gegen die niedrige Mauer hinter mir und zog die Beine an, um mich eine Weile an mir selbst festzuhalten, bis die Gewissheit, dem Sturz ins Nichts entronnen zu sein, auch in meinem ungestüm schlagenden Herzen angekommen war.
    Nun sah ich, was ich berührt hatte, als ich nach der Flasche greifen wollte: eine Katze. Mindestens ein Dutzend von ihnen hatte sich um mich geschart und blickte mich an; unzählige schillernde Augen, in denen sich das Licht der Sterne und der altertümlichen Straßenlaternen mit einem matten, künstlich wirkenden Grün brach. Sie belauerten mich. Worauf warteten sie? Sie sahen mich an, als wäre ich gekommen, um ihnen ein Geheimnis zu überbringen – nicht misstrauisch oder angriffsfreudig, sondern geduldig, gelassen, vertraut. Betrachteten sie mich als eine von ihnen, als ein Wesen der Nacht? Sie verfolgten jede meiner Regungen, selbst meine Wimpernschläge und das Heben und Senken meiner Brust entging ihnen nicht.
    Ungläubig registrierte ich, dass ich ein dünnes, ausgeschnittenes Sommerkleid trug – ein Kleid, das ganz unten in meinem Koffer gelegen hatte, weil ich es beim Packen als Erstes aus dem Schrank gezogen hatte. Seidenweich strich der Saum um meine Knie.
    »Ich muss euch wieder allein lassen«, flüsterte ich. »Ich gehöre hier nicht her.« Die Katzen blieben still sitzen, als ich aufstand und die gepflasterte Gasse entlangrannte, ohne dass meine nackten Sohlen auch nur den geringsten Laut verursachten. Ich passierte Torbögen, nahm Abkürzungen durch aberwitzig enge Gässlein, überquerte einen verlassenen Hof, kletterte über eine Mauer und ließ schließlich den mit trockenem Gras bewachsenen Burghof hinter mir, bis ich vor dem Hotel stand. Ich hatte mich kein einziges Mal verirrt – als würde ich diese Stadt kennen. Das war es, was mir so bedrohlich vorgekommen war, während wir hineingefahren waren. Ich war schon einmal hier gewesen, und wenn es nur in meinen Träumen geschehen war. In diesen Sträßchen würde ich mich niemals verlaufen können. Es war jemand bei mir, der mich führte und meine Blicke leitete. Er war in meinen Träumen da gewesen und war es jetzt. Er war es auch, der mich gestern in das leere Haus gerufen hatte. Bei ihm fühlte ich mich sicher und leicht. Ich blieb stehen. Lauschte. Kein Geräusch außer meinem fließenden Atem. Doch er war da. Hinter mir. Ganz dicht. Langsam drehte ich mich um, damit ich ihn ansehen konnte, und blickte ins Nichts. Die Piazza lag leer vor mir. Wann würde er sich mir endlich zeigen? Ich sehnte mich nach ihm. Doch die Zeit war noch nicht reif.
    Ich wandte mich wieder dem Hotel zu und dachte kurz darüber nach, die Hauswand bis zu unserem weit geöffneten Fenster zu erklimmen, verwarf die Überlegung aber im gleichen Atemzug. Es ging auch einfacher. Ohne zu zögern, drückte ich die Klingel des Portiers – wahrscheinlich der Besitzer, denn einen Nachtwächter konnten sich die Inhaber bestimmt nicht leisten. Nach einigen Minuten erschien er im Morgenmantel an der Glastür und drückte auf die Entriegelung. Summend schwang sie auf.
    »Entschuldigen Sie bitte die späte Störung, ich hatte mich verlaufen«, erklärte ich freundlich und deutete auf die Schlüsselwand über der Rezeption. »Zimmernummer 8. Wären Sie so lieb?«
    Mit

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