Dornenliebe
Geschmack entsprechen. Inzwischen hat der erste Frost eingesetzt, sodass Luna oft dankbar ist, warm gekleidet zu sein. Wenn sie sich mit Falk unterhält, ist sie dazu übergegangen, ihm die Antworten zu geben, die er hören will; sind sie gemeinsam unterwegs, verhält Luna sich stets so, dass sie es vermeidet, sein Missfallen zu erregen. Sie konzentriert sich allein auf ihn und auf die jeweilige gemeinsame Aktivität, sie weicht aus, wenn sie nur von Weitem Bekannte wahrnimmt, vermeidet jegliche Begegnung mit anderen Männern. Immer häufiger schafft sie es, sich einzureden, sie vermisse nichts, die Aufmerksamkeit des männlichen Geschlechts schon gar nicht, aber auch nicht die Gesellschaft von Freunden, da sie in Berlin noch kaum wirklich tiefere Bekanntschaften geschlossen hat. Eine einzige intensive Bindung, so sagt sie sich, ist wichtiger als viele oberflächliche Bekanntschaften. Im Gegenzug führt Falk sie in Boutiquen, um sie auszustatten für die Tage und Abende, wenn sie an seiner Seite unterwegs ist.
»Schließlich möchte ich mit dir angeben«, sagt Falk während einer dieser Shoppingtouren und hält ein Kleid vor ihren Körper, das ihm gefällt, aus weißem Satin mit einem großflächigen verschiedenfarbigen Blumenmuster darauf. »Probier es an«, fordert er sie auf.
Luna verschwindet in der Umkleidekabine, ihre alten Sachen wirken abgetragen und unmodern, ein wenig beschämt legt sie sie auf den bereitstehenden Hocker. Auf
ihrem Rücken und unter ihren Brüsten spürt sie, wie verschwitzt sie ist, während sie in den kühlen glatten Stoff des neuen Kleides schlüpft. Vor dem Spiegel ordnet sie ihr Haar und stellt sich auf die Zehen, um Schuhe mit höheren Absätzen zu simulieren. Dreht sich von einer Seite zur anderen, lächelt ihr Spiegelbild an, streckt ihm die Zunge heraus, betrachtet sich ausgiebig. Das Kleid ist von einer Qualität, wie Luna sie sich niemals selbst leisten würde, und kostet so viel wie eine Monatsmiete ihrer Wohnung. Es wirkt elegant, aber nicht sexy.
Das bin ich nicht, denkt sie. Verdammt, Falk. Ich will zurück in meine Welt. Im selben Moment jedoch ruft Falk sie von draußen und sie schiebt den Vorhang zur Seite, tritt mit kleinen, langsamen Schritten auf ihn zu. Neben ihm steht eine Verkäuferin. Ihr Lippenstiftlächeln verbietet Luna jeden Zweifel an der Richtigkeit dieser Kleiderwahl. Auch Falk nickt, dann lächeln die beiden sich an, Luna bemerkt den bewundernden Blick der Verkäuferin, der einen Moment länger in Falks Gesicht verharrt, als es nötig gewesen wäre.
»Perfekt«, meint Falk. »Das Kleid nehmen wir. Oder was meinen Sie? Ihr geschultes Auge kann selbstverständlich viel besser beurteilen, ob eine solche Kostbarkeit überhaupt etwas für ein Mädchen ist, das gerade erst sein Studium begonnen hat.«
»Auf jeden Fall ist es das«, antwortet die Verkäuferin. »Mit einem so charmanten Herrn neben sich kann sich die junge Dame gar nicht schick genug machen. Ziehen Sie sich schnell um und geben Sie mir das Kleid heraus, junge Frau. Dann kann ich mit Ihrem Bekannten schon zur Kasse gehen.«
Zu Hause verschafft sich Falk Einblick in alle Besitztümer Lunas, in alle persönlichen Erinnerungen. Auf sein Geheiß hin zeigt sie ihm ihre Fotoalben, von der frühen
Kindheit an bis zum letzten Sommer. Von jedem Jungen, der auf den Bildern zu sehen ist, verlangt er den Namen zu erfahren, dazu genaue Informationen über Zustandekommen und Intensität der Bekanntschaft - auch dann, wenn Luna auf einem Bild mit einem kleinen Jungen im Sandkasten sitzt oder unter mehreren Kindern bei einer Geburtstagsfeier fotografiert wurde. Er verlangt zu erfahren, was aus der Freundschaft geworden sei, ob noch Kontakt bestehe, wo der Junge jetzt lebe. Was Luna heute für ihn empfinde. Ob er ihr lieber sei als Falk. Anfangs begehrt Luna noch auf, mit der Zeit jedoch geht sie dazu über, einfach zu antworten, knappe Auskunft in unbeteiligtem Ton zu geben, zu berichten, bis Falk besänftigt ist und keine weiteren Fragen mehr stellt. Hatte sie kurz nach ihrem Einzug einige Erinnerungsfotos in ihrem Zimmer aufgehängt - Familienbilder, Klassenfotos, Urlaubsbilder -, so nimmt sie nun eines nach dem anderen von den Wänden und ersetzt sie durch belanglose Drucke mit Blumen und Stillleben.
Ähnliches erwartet Falk von Lunas Umgang mit den persönlichen Gegenständen, die sie zur Dekoration aufgestellt hat. Auch hier zerrt er die Geschichte eines jeden Stückes aus ihr hervor, will wissen, woher
Weitere Kostenlose Bücher