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Dornenliebe

Titel: Dornenliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Feher
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nachgelassen haben.
    Luna will raus aus diesem Zimmer, das bisschen Wasser hat ihr erst recht gezeigt, wie dringend sie raus muss, in welcher Gefahr sie schwebt. Was Jarons Telefonnummer betrifft, hat sie ein Blackout, sie muss jemand anderen anrufen. Sarahs Nummer weiß sie nicht auswendig, ebensowenig die von Hanna, Luise, Carla und Merete, und ihre alten Freundinnen in Remscheid können ihr nicht wirklich helfen, es ist auch keine dabei, von der sie behaupten könnte, sie würde ihr alles anvertrauen. Keine, wegen der sie vielleicht in ihrer Heimatstadt geblieben wäre. Nach Thores Tod haben sie sich zurückgezogen, haben es vermieden,
Luna anzurufen, nachdem eine von ihnen es versucht hatte; Lunas Mutter hatte abgehoben und gesagt: »Wir haben Trauer im Haus.« Seit Luna in Berlin ist, hat sie sich bei keiner von ihnen mehr gemeldet, sie haben nicht einmal Lunas neue Adresse, wissen nichts von Falk, von ihrem neuen Leben hier in Berlin.
    Eine freundliche Automatenstimme weist Luna darauf hin, dass sie nur noch über einen Euro und zwanzig Cent Guthaben verfüge. Sie muss sorgsam damit umgehen, sie für den Moment aufheben, wo sie nicht mehr anders kann, als sich Hilfe zu holen. Ein bisschen noch durchhalten. Im Schrank sucht sie nach einer Aufladekarte, vielleicht hatte Falk immer gleich mehrere gekauft, auf Vorrat, und sie dann Teresa zugeteilt. Tatsächlich findet sie einen Umschlag mit dem Logo des Mobilfunkanbieters, schon aufgerissen, viel Hoffnung hat sie nicht, doch sie nimmt ihn an sich und schaut hinein. Erstarrt. Lauter Papierschnipsel liegen darin, die einzelnen Teile eines zerrissenen Fotos. Lunas Kopf dröhnt, als sie sich an den Schreibtisch setzt und das Bild wie ein Puzzle zusammenfügt, Stück für Stück, sie braucht nicht lange dazu, und sie weiß, wer darauf zu sehen ist, noch ehe das Mädchen ihr entgegenlächelt. Teresa. Ihr Name hat jetzt ein Gesicht, und für Luna ist es, als blicke sie in einen Spiegel. Falks Opferschema, denkt sie und kann nicht aufhören, das Foto anzustarren. Teresa sah aus wie ich, der gleiche Typ, sie hätte meine Schwester sein können. Längere dunkle Haare, zierliche Figur, volle Lippen. Ein Kleid, das sie sich niemals selbst hätte leisten können. Es macht sie auf befremdliche Art älter.
    Falk hat ihr Bild zerrissen, genau wie das Foto von Thore. Beide sind tot.

    Irgendwann am Nachmittag hört Luna, dass jemand bei Falk klingelt. Sie stürzt an die verschlossene Zimmertür, um zu lauschen; wenn es an der Wohnungstür war, kann sie sich durch Rufen und An-die-Tür-schlagen bemerkbar machen, würde endlich, endlich befreit werden - vorausgesetzt, Falk ist zu Hause und öffnet. Luna hört nichts, keine Schritte, keine Stimmen im vorderen Korridor. Kurz darauf wird Sturm geklingelt, einmal, dann mehrmals hintereinander, ausdauernd, schrill. Wieder passiert nichts.

    Schlafen, Kräfte zurückgewinnen. Abwarten. Noch den Sonntag durchstehen, vor dem ihr jetzt schon graut, der Samstag vergeht schon so quälend langsam. Überleben. Immerhin hat sie jetzt das Gefühl, fieberfrei zu sein.
    Es kommt Luna absurd vor, so zu denken; wenn man selbst Schlimmes erlebt, hält man es für weniger dramatisch, als wenn es jemand erzählt oder man davon liest, Bilder im Fernsehen sieht. Man lebt damit. Dennoch weiß sie, dass Falk ihr Leben bedroht. Der Durst kommt schneller zurück als erwartet. Teresa ist tot. Luna lebt noch.

    Irgendwann schafft sie es, Teresas Handy weiter zu durchforsten. Sie könnte Jarons Nummer gespeichert haben, damals, vielleicht war es schon dieselbe wie heute, warum ist sie nicht gleich draufgekommen. Immerhin kannten sie sich von der Redaktion ihrer Schülerzeitung, da hat man öfter miteinander zu tun. Doch auch Teresas Adressbuch enthält nur Falks Telefonnummern, aber jetzt sucht Luna weiter, will mehr wissen, vielleicht hat Jaron recht mit seiner Vermutung, Falk habe Teresa auf dem Gewissen, auch wenn er das nicht ganz deutlich gesagt
hat. Die Nachrichten. Kurzmitteilungen. Luna öffnet den Ordner »Gesendet«, er ist jedoch leer, Teresa muss den kompletten Inhalt gelöscht haben aus Angst, er könnte sie kontrollieren. Nur seine Nachrichten sind noch drauf, zwei hat Luna schon gelesen, hatte Angst vor dem, was sie außerdem noch finden könnte, aber jetzt kann sie nicht mehr anders, wie von selbst blättern ihre Finger den Ordner durch. Die Texte ähneln einander, ähneln dem, was Falk auch ihr immer wieder schreibt, auch in der äußeren Form; in

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