Dornenliebe
wollen, dass vorher alles in Ordnung ist, sauber, spurenlos, ein Gefängnis kann er schlecht als Büro präsentieren. Bis dahin muss sie durchhalten, ausharren, ruhig bleiben. Es würde nichts nützen, erneut an die Tür zu klopfen, zu schreien, zu toben, ihn anzuflehen. Falk wird sie nicht freilassen. FÜR DICH GIBT ES KEIN LEBEN MEHR AUSSER AN MEINER SEITE. Vielleicht war er es doch, denkt sie. Vielleicht hat er sie umgebracht. Lieber sollte Teresa gar nicht leben als ohne ihn. Und jetzt hat er sich Luna als Opfer ausgesucht, Luna, die außer Sarah niemanden in Berlin kannte, als sie herzog; Luna, die seit dem Tod des Bruders unsichtbar für ihre Eltern geworden ist, die verlernt hat, eigene Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen, die dankbar war, dass Falk ihr zugehört hat, auch wenn sie längst weiß, dass sein Interesse nur geheuchelt war, gespielt, ein Trick, um sie an sich zu binden, sie gefügig zu machen, Dankbarkeit verpflichtet.
Aber noch ist es nicht zu spät, denkt sie. Noch lebe ich, ich atme, denke, kann meine Flucht vorbereiten. Ich kann es versuchen, es ist noch nicht zu spät. Ehe ich hier verdurste, schreie ich doch um Hilfe, ein kleiner Rest an Kraft ist noch da.
Aber auch am Montagmorgen wartet Luna vergeblich. Liegt wach in die Wolldecke gehüllt, lange bevor es hell wird, setzt sich auf, geht ein paar Schritte im Zimmer auf und ab, um den Kreislauf in Gang zu bringen. Setzt sich an den Schreibtisch, steht erneut auf. Legt Teresas Handy zurück in den Schrank, ebenso das Ladekabel, achtet darauf, dass auch die Briefe, die sie gelesen hat, wieder genau so im Schrank liegen wie zuvor. Fährt sich mit den Fingern durchs Haar, massiert ihre Schläfen, vor Hunger und Durst wird sie nicht richtig wach, fühlt sich wie benebelt, fast wie nach einer durchzechten Nacht, sie kann sich nur langsam bewegen, benutzt noch einmal den Übertopf als Toilette, wehrt sich gegen das Schwindelgefühl, das sie übermannt. In Gedanken spielt sie immer wieder verschiedene Möglichkeiten durch, wie sie fliehen kann, sobald Falk die Tür öffnet. Bis zum Mittag tut sich nichts.
Noch einmal fällt Luna in einen leichten Dämmerschlaf, als das Geräusch eines sich im Schloss drehenden Schlüssels sie aufschreckt. Falk steht im Türrahmen, sein Duft nach Duschgel und Aftershave, den sie so geliebt hat, lässt sie jetzt schwindlig werden vor Sehnsucht nach eigener Sauberkeit, nach gewaschenem Haar und frischer Kleidung, nach geputzten Zähnen, nie hat sie sich erniedrigter, schmutziger gefühlt als in diesem Augenblick, bestimmt stinke ich, denkt sie, aus dem Mund, unter den Achseln, überall. In weißem Hemd und eleganter Markenhose baut er sich vor ihr auf, die Haare noch feucht, doch perfekt sitzend, Luna stellt fest, dass sie nichts mehr fühlt angesichts seiner Attraktivität. Sie hat in sein Innerstes geschaut, er hat sie leiden lassen, so sehr, wie sie es nie für möglich gehalten hätte, dass jemand dazu fähig wäre. Sie sieht ihm lange ins Gesicht, direkt in seine Augen, so stellst du dir unsere Beziehung also vor, du als edler, überlegener,
smarter Herr, ich als dein Besitz, deine Dienerin, die du auf Händen trägst oder am Boden kriechen lässt, wie es dir gerade gefällt. Nicht mit mir, Falk. Nicht mehr. Das ist keine Liebe. Wenn du eine Frau auf Rosen bettest, wird sie nur den Schmerz der Dornen in ihrem Fleisch und deine Arme wie Stacheldraht um sich spüren, nicht den Duft und die Schönheit der Blüte genießen können.
»Beeil dich«, sagt Falk. »Der Finanzbeamte kommt gleich. Ich will, dass du anständig aussiehst.«
Es sind die ersten Worte, die sie von ihm hört, seit er sie eingesperrt hat, sie fragt sich, wie er es ausgehalten hat, sie in diesem Zimmer zu wissen, das ganze Wochenende lang, krank, durstig, allein. Staunt, dass er das konnte und auch jetzt keine Schwierigkeiten hat, Luna so zu sehen, wie er sie jetzt sieht, nicht begreift, dass dies nichts mit Liebe zu tun hat, im Gegenteil.
Luna schaut weg, schiebt sich an ihm vorbei ins Badezimmer, riegelt sich ein, dreht den Kaltwasserhahn am Waschbecken auf und beugt sich darüber, trinkt, trinkt, trinkt, kann nicht genug bekommen, zwischendurch muss sie Luft holen, trinkt weiter, ich saufe wie ein Tier, denkt sie, schaufelt das kalte Wasser mit beiden Händen in ihr Gesicht, trinkt erneut. Danach fühlt sie sich etwas besser, klarer, näher zurück am Leben, das Schwindelgefühl ist fast weg. Um noch mehr zu Kräften zu kommen,
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