Dornenliebe
Uni, zu Jaron und den anderen, meinetwegen auch nach Remscheid zu meinen Eltern, zumindest nur für ein Wochenende, Hauptsache allein, Hauptsache ohne Falk. Das Elternhaus wiedersehen, mein altes Zimmer, die Küche, in der sich seit vielen Jahren nichts verändert hat, das Wohnzimmer, in dem sich der ganz spezielle Geruch unserer Familie festgesetzt hat, in den Möbeln, der Tapete, in jedem Sofakissen, jedem Teppich, egal ob gerade gelüftet worden ist oder nicht. Einfach nur alles sehen will ich, es riechen, allein, um festzustellen, dass das normale Leben noch existiert, dass ich noch nicht wahnsinnig geworden bin. Dann wieder zurück nach Berlin, aber nicht mehr hierher. Niemals. Nur raus hier.
Aber Luna kann nicht raus. Sie wagt es nicht einmal, an der Türklinke zu rütteln, jeder Versuch, den Falk bemerkt, würde nur dazu führen, dass er noch unnachgiebiger reagieren, sie noch länger eingesperrt lassen würde. Sie schätzt, dass sie schon gut fünf Stunden lang eingesperrt ist, irgendwann muss Falk kommen und sie wenigstens zur Toilette lassen, wenigstens das hat er beim letzten Mal getan.
Das Handy. Immer wieder schweift Lunas Blick in seine Richtung. Sie will hier raus, doch Jarons Nummer fällt ihr nicht ein,und selbst wenn, was sie ihm sagen könnte, weiß sie nicht. Sie muss sich bewegen. Ihre Kehle fühlt sich an wie Sandpapier, vielleicht bekommt sie eine Erkältung, sie müsste trinken, der Gedanke an Flüssigkeit beginnt, den an die unheimliche Nachricht auf dem fremden Display zu verdrängen.
Falk kommt nicht. Luna presst ihre Stirn gegen die Fensterscheibe, dankbar für die Kühlung, die sie ihr verschafft, zu dem Durst sind Gliederschmerzen hinzugekommen, sie versucht, sich nicht fortwährend Tee oder kühle Saftschorle vorzustellen, beobachtet den Straßenverkehr. Wartet darauf, Falks Auto auf die Auffahrt rollen zu sehen, sehnt sich aber nicht nach ihm, im Gegenteil.
Sie muss unbedingt trinken, unbedingt.
Trinken. Allein das Wort lässt Luna aufstöhnen, immer wieder fährt sie mit ihrer trockenen Zunge über die Lippen, im Mund hat sich ein gammeliger Geschmack ausgebreitet, den sie nicht los wird, sie hat sich am Morgen nicht die Zähne putzen, sich nicht duschen, sich nicht umziehen können. Draußen ist es noch taghell, es kann nicht später als zwei, drei Uhr am Nachmittag sein, Falk wird noch lange nicht zurückkommen. Jarons Nummer. Luna setzt sich an Falks Schreibtisch und schreibt alle Zahlenkombinationen auf, die ihr möglich erscheinen. In ihrem Hals brennt es, sie weiß nicht, ob das vom Durst kommt oder von einer beginnenden Halsentzündung, Nachwirkungen der letzten Erkältung. Sie schluckt, lutscht am Kugelschreiber, schafft es, auf diese Weise ein
wenig Speichel zu sammeln, viel hilft es nicht. Sieben Telefonnummern hat sie aufgeschrieben, greift zögernd nach dem Handy. Falk sieht mich, denkt sie und legt es vor sich auf den Tisch. Er beobachtet jede Bewegung meiner Finger. Dennoch wählt sie die erste Nummer auf der Liste, hört auf einem fremden Anrufbeantworter die Stimme einer älteren Dame. Streicht die Nummer durch. Ihre Blase droht zu platzen. Luna nimmt die Bananenpflanze aus dem Übertopf und hockt sich darüber, kann nicht mehr anders, es ist ihr egal, was Falk sagen wird, sollte er es später bemerken. Es hat ihn auch nicht interessiert, wie sie das Zimmer verschönert hat. Ihr Urin ist dunkelgelb gefärbt, sein beißender Geruch steigt ihr in die Nase, wenn sie könnte, würde sie das Fenster öffnen und den Übertopf auf den Balkon stellen. Um Hilfe rufen, es gehen immer Leute auf der Straße entlang. Aber die Schlüssel zu den Fenstergriffen und der Balkontür hat Falk. Wenigstens ist die Blase leer.
Gegen Abend bekommt Luna Schüttelfrost und wickelt sich in die Wolldecke ein, in der sie auch letzte Nacht geschlafen hat. Ihr Kopf fühlt sich an wie in einen Eisenring gezwängt, es fällt ihr schwer, ihre Gedanken sortiert zu halten, dabei möchte sie doch planen, möchte konzentriert bleiben; je länger ihre Gefangenschaft dauert, desto mehr spürt sie, dass sie einen Weg rausfinden muss. Dass es kein Zurück mehr gibt. Kein Zurück mehr zu Falk, zu dem, was einmal ihre Liebe gewesen ist. Sie legt sich auf den Boden, wickelt die Decke fest um ihren Körper und fällt in einen unruhigen Fieberschlaf, die Kopfschmerzen hindern sie daran, tief zu schlafen, zu entspannen. Luna träumt von Tee, von einem großen Bottich voller kaltem, klarem Wasser; davon,
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