Dornenliebe
ihr Gesicht hineinzutauchen, um
es abzukühlen und zu trinken, zu trinken, bis sich ihr Bauch prall und hart anfühlt und ihr Gaumen wieder glatt und geschmeidig. Als sie aufwacht, weint sie vor Durst, zwingt sich jedoch, sich zu beruhigen, um nicht noch mehr Flüssigkeit zu verlieren. Immerhin hat der Schüttelfrost aufgehört, dann steigt das Fieber wohl nicht mehr.
Sie träumt von Teresa. Sieht sie an Falks Seite, sieht sich selbst. Hört das Handy klingeln, schreckt auf und schaut nach, doch das Display weiß nichts von einem verpassten Anruf. Später weiß Luna nicht mehr, ob sie wirklich nachgeschaut hat. Das Telefon liegt neben ihr. Sie greift danach und richtet sich auf, hält sich die hämmernde Stirn, steht auf und geht zum Tisch, um die Liste mit den Nummern zu suchen, will alle Telefonnummern dazuschreiben, die ihr einfallen, die der Eltern, von alten Freundinnen, ein paar hat sie noch im Kopf, vertraute Menschen, mit denen sie länger nicht gesprochen hat, manche haben seit Jahren nicht ihre Telefonnummer gewechselt. Irgendjemanden wird sie anrufen, sich anvertrauen, ihre Not schildern, um Rat fragen, was sie tun soll. Erst alles aufschreiben, um nicht kopflos irgendeine Nummer zu wählen und das Guthaben aufzubrauchen. Ihr Fuß stößt gegen eine Gießkanne, warum hat sie sie nicht schon eher bemerkt, der Boden ist noch mit Wasser bedeckt, vielleicht einen Millimeter hoch, gierig setzt sie die Tülle an die Lippen, behält den kleinen Schluck lange im Mund, ehe sie ihn ihren stechenden Hals hinabrinnen lässt. Ein Tropfen in der Sahara. Dann öffnet sie die Mitteilungen im Handy. DU KANNST NICHT FLIEHEN.
Das Gesicht an der kalten Fensterscheibe. Falks Schritte im Flur. Luna versteckt das Handy, ehe sie an die Zimmertür klopft. Hört, wie er stehen bleibt.
»Falk«, sagt sie und bemüht sich um einen ruhigen Tonfall. »Ich bin krank geworden, Falk, ich habe Fieber mit Hals- und Kopfschmerzen. Lass mich raus oder bring mir wenigstens was zu trinken.«
Falks Schritte entfernen sich. Luna bleibt an der Tür stehen, zwei Minuten, fünf, zehn, zwanzig. Er sucht nicht im Bad nach Medikamenten, kommt nicht mit einem Getränk zurück. Es wird Nacht.
Der Durst und das Fieber verwirren Lunas Gedanken und die Bilder in ihrem Kopf. Sie ist Teresa, angekettet von Falk, kontrolliert, eingepfercht, hat aufgegeben, sieht keinen Ausweg mehr, stößt gegen Wände, egal wohin sie strebt. Sieht Jarons Gesicht und kann ihn nicht erreichen. Sieht Thores leblosen, zerschellten Körper am Strand liegen, er kann ihr nicht mehr helfen und sie ihm nicht. Sieht Teresa, die lieber nicht mehr leben wollte als so - oder aber von Falk umgebracht worden ist. Vielleicht hat er sie vorher auch eingesperrt, vielleicht ist ihr eine Flucht geglückt und dann hat er sie irgendwo aufgespürt, außer sich vor Zorn und Eifersucht. Teresa war kein Mädchen, das sich etwas antut. So war sie einfach nicht. Sie hat noch keine Ruhe gefunden, denkt Luna zwischen zwei Phasen leichten Schlafs. Sie ist überall, in diesem Handy, hier im Raum, in Falk, in Jaron, in mir. In mir am meisten.
Vielleicht lässt mich Falk nie mehr hier raus. Bis man verdurstet, dauert es kaum mehr als drei Tage. Wie lange dauert es bei Fieber, wenn der Körper noch mehr nach Flüssigkeit verlangt? Was hat Falk mit Teresa gemacht?
Die Nacht erscheint ihr endlos. Lunas Gedanken kreisen unaufhörlich, sind noch düsterer als bei Tageslicht, Wut und Verzweiflung wechseln einander ab. Ein paar Mal weint sie, wälzt sich auf dem Boden, schlägt mit den Fäusten in die zusammengeknüllte Decke, zerwühlt ihr Haar. Der Durst, der Durst. Wie viele Stunden noch?
Den Samstag verbringt Luna in einer Art Dämmerschlaf. Ein Rest Tageslicht fällt noch durch das Fenster, als sie wach wird. Am Boden neben der Tür findest sie ein Trinkglas, knapp zur Hälfte mit Wasser gefüllt, lauwarm und kaum groß genug, ihren Durst löschen zu können. Sie trinkt es in kleinen Schlucken, obwohl sie versucht ist, alles auf einmal hinunterzustürzen und nach mehr zu schreien, gegen die Tür zu hämmern, sich dagegen zu werfen, bis sie aufspringt oder Falk die Nerven verliert und sie befreit, aber er wird es nicht tun, er lässt sie spüren, wie abhängig sie von ihm ist, jetzt ist er Herr über sie, über ihr Leben, verdursten kann sie auch, wenn er ihr geringste Mengen Flüssigkeit zuteilt, es dauert nur länger. Das Fieber scheint etwas gesunken zu sein, auch wenn die Kopfschmerzen kaum
Weitere Kostenlose Bücher