Dornenliebe
Rücken schmerzt und sie friert trotz der Heizung; wenn sie versucht, sich selbst warm zu rubbeln, fühlt es sich unangenehm an, als ob jemand die zarten Härchen auf ihren Armen gegen den Strich bürstet. Die Sehnsucht, in einem Bett liegen zu können, ausgestreckt dazuliegen und zu schlafen, wird übermächtig, immerhin ist es schon abends.
An einem Bahnübergang müssen sie länger warten. Jaron vergewissert sich durch einen Blick in den Rückspiegel, dass Falk ihnen nicht gefolgt ist, doch es steht nur ein Auto hinter ihnen, ein dunkelblauer Peugeot mit einem Kennzeichen, das er keiner Stadt zuordnen kann. Er sieht Luna an.
»Ich suche uns jetzt ein Gasthaus«, verspricht er. »Oder eine Jugendherberge, je nachdem, was wir zuerst finden. Du kannst dich bald hinlegen.«
Wenig später steuert er eine kleine Pension an. Erst nach mehrmaligem Klingeln öffnet die Wirtin, eine hagere
Frau um die sechzig in einer dunkelblau geblümten Kittelschürze aus Polyester über einem Pullover, dessen Farbe Luna an das Shirt erinnert, welches Falk ihr geschickt hat.
»Was machen Sie denn um diese Zeit hier?«, fragt sie, ohne ihre Tür ganz aufzuziehen. »Saison ist von Ende März bis Ende September, wenn die Leute an den See fahren. Sie haben doch sicher gesehen, dass mein Schild gar nicht beleuchtet ist.«
Jaron schiebt sich halb in den Türrahmen, gerade so, dass die Frau nicht behaupten kann, er würde Hausfriedensbruch begehen.
»Bitte stellen Sie uns ein Zimmer zur Verfügung«, sagt er. »Wir haben schon einen weiten Weg hinter uns, weil wir uns ein bisschen verfahren haben. Meiner Freundin geht es nicht gut. Wir brauchen nur ein Bett für eine Nacht, zur Not auch ohne Frühstück. Morgen früh fahren wir gleich weiter.«
Die Wirtin beugt sich vor.
»Fieberaugen«, stellt sie fest. »Wäre es da nicht besser, Sie suchen mit ihr das Kreiskrankenhaus auf? Das wären noch mal knappe vierzig Kilometer zu fahren, aber dann wäre die junge Frau wenigstens in guten Händen.«
»So schlimm ist es nicht«, beteuert Luna und unterdrückt den Husten. »Wirklich, ich brauche nur ein bisschen Schlaf, morgen früh wird es wieder gehen. Ich habe so was manchmal, wenn ich zu viel gearbeitet habe, mein Hausarzt verordnet mir auch jedes Mal nur Bettruhe.«
»Wenn Sie meinen.« Die Wirtin zieht ihre Tür ein Stück weiter auf. »Dann kommen Sie mal. Es kostet siebzehn Euro pro Person mit Frühstück. Irgendwas werde ich schon zusammenkratzen. Leichtsinnig ist das aber trotzdem von Ihnen.« Sie führt Luna und Jaron eine schmale Treppe hinauf und öffnet eines der fünf Zimmer in der
ersten Etage. Der Geruch im Inneren erinnert Luna an ranzige Margarine, das Doppelbett und der Kleiderschrank wirken bereits auf den ersten Blick abgenutzt, die weiße gestärkte Bettwäsche jedoch sieht so rein aus, dass Luna sich am liebsten sofort hineinkuscheln und einschlafen würde, schlafen bis weit in den nächsten Vormittag hinein, in Jarons Arm und ohne an morgen zu denken. Jaron holt die Reisetaschen aus dem Auto, die Wirtin, nun etwas versöhnlicher gestimmt, wünscht beiden eine ruhige Nacht.
Jaron öffnet das Fenster, um frische Luft hineinzulassen.
»Nein«, schreit Luna leise auf und zieht ihn ins Zimmer zurück. »Hörst du nicht, da waren eben Schritte zu hören.«
»Das war nur die Wirtin«, versichert Jaron. »Sie macht einen letzten Rundgang ums Haus, ich habe es selbst gesehen. Danach geht sie auch schlafen. Leg dich hin, du musst schließlich gesund werden.«
»Eine tolle Freundin hast du dir angelacht«, versucht Luna zu scherzen. »Eine, die immer krank ist und ständig Gespenster sieht. Dabei wollte ich nichts, als mit dir zusammen sein und unsere Liebe genießen. Stattdessen hast du nur Stress mit mir.«
Jaron setzt sich aufs Bett, Luna ist schon hineingekrochen und hat sich die Bettdecke bis unters Kinn gezogen.
»So darfst du nicht reden, Luna«, sagt er. »Nie wieder, hörst du? Ich genieße jede Minute mit dir, war noch nie so glücklich wie jetzt, wo wir endlich zusammen sind. Alles andere schaffen wir auch noch. Aber du musst auch ein bisschen daran glauben. Du hast doch schon gezeigt, wie stark du bist.«
Luna nickt.
»Ich weiß. Schade, dass wir uns nicht früher kennengelernt haben - bevor Thore starb, war ich viel lustiger drauf
und auch ziemlich selbstbewusst. Danach ist das alles flöten gegangen, ich habe ewig mit meinen Schuldgefühlen gekämpft, obwohl ich die ganze Zeit wusste, dass das Unsinn ist.
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