Dornenliebe
seiner Herrin, beim Zuschlagen der Haustür und dem Weinen eines kleinen Kindes. Falk ist nicht hier, redet sie in Gedanken erneut auf sich ein.
Da klingelt es unten an der Tür. Lunas Herz beginnt zu
rasen, sie wagt nicht zu öffnen, Jaron kann es noch nicht sein, vielleicht will sich nur der Postbote oder ein Zettelverteiler Einlass verschaffen. Kurz darauf klingelt es wieder, ein zweites, drittes und viertes Mal, ungeduldiger und in kurzen Abständen. Luna öffnet nicht, verharrt regungslos in der Küche stehend, wo sie sich gerade einen Obstteller zubereiten wollte. Direkt danach klingelt das Telefon, nicht mit dem von Jaron angekündigten Zeichen, nach sieben Mal hört es auf, ein Anrufbeantworter ist nicht angeschlossen. Eine halbe Stunde später klingelt es wieder, länger, beharrlicher, es erscheint ihr wie ein höhnisches Rufen, du weißt, dass ich dich immer finde, egal wo du bist . Im Laufe des Tages wiederholt sich das noch fünfmal, auch als Jaron längst zurück ist und auch, als Sarah später vorbeikommt, um Luna noch einmal mit Kleidung zu versorgen.
»Es muss nicht Falk gewesen sein«, meint sie. »Mach dich nicht verrückt.«
Am Abend ziehen Luna und Jaron den Telefonstecker heraus. Irgendwann entdeckt Luna im Bücherregal einen Roman, den sie schon lange hat lesen wollen, und vertieft sich darin. Allmählich kommt sie zur Ruhe.
17.
D ie nächsten Tage in der Wohnung verlaufen ruhig, Damit sie auch in Verbindung bleiben können, wenn Jaron nicht bei ihr ist, hat er ihr ein billiges Prepaid-Handy mit Karte besorgt, ein wenig Startguthaben ist drauf, der Tarif günstig. Das Festnetztelefon lassen sie ausgestöpselt.
Tagsüber versucht Luna, sich zu beschäftigen, während Jaron, der sie nur noch allein lassen will, wenn es nicht mehr anders geht, für sein Studium lernt. Sie liest viel, kocht für sie beide, sorgt dafür, dass sie die Wohnung demnächst mindestens so aufgeräumt und sauber verlassen wird, wie sie sie vorgefunden hat. Probiert Kleidungsstücke an, die Sarah vorbeigebracht hat, Jeans und Pullover, ihrem eigenen Stil ähnlich, lässig und verspielt, in sanften Farben, die Oberteile mit Ausschnitten, die nicht einengen. Schreibt Weihnachtskarten, die Jaron ihr mitbringt, an ihre Eltern, ihre Freundinnen in Remscheid, tut darin so, als wäre alles in Ordnung. Wenn die Eltern wirklich verreist sind, haben sie sicher ein Päckchen an Lunas Adresse geschickt, sie muss sich bald bei ihnen melden, vielleicht sind sie doch zu Hause und sie könnte mit Jaron über Weihnachten zu ihnen fahren. Wir kennen keinen Jaron, hört sie den Vater sagen; uns hat ein Falk geschrieben, es ist nicht richtig, was du treibst, Mädchen, jede Woche einen anderen Jungen. Was hast du denn auf einmal gegen Falk, er scheint doch charmant zu sein und
trägt dich auf Händen. Wir haben gedacht, du wirst erwachsener, wenn du in Berlin auf dich selbst gestellt bist.
Oder einfach: Reg uns nicht auf. Wir sind noch nicht so weit, Fremde in unserem Haus empfangen zu können.
Nach drei Tagen zieht Luna zu Ole und seiner Freundin Natascha. Hier schläft sie auf einem Hochbett im selben Zimmer wie ihre Gastgeber, allen ist klar, dass auch dies keine Dauerlösung sein kann, nicht nur, weil Luna nachts wieder mit dem trockenen Husten zu kämpfen hat, der in der ersten Nacht mit Jaron beinahe verschwunden schien. Jaron kehrt vorerst in seine WG zurück, er hat beschlossen, Johannes einzuweihen, ihm zu sagen, was Falk mit Luna gemacht hat; später berichtet er, Johannes sei nicht überrascht gewesen und habe versprochen, nichts zu verraten, sollte Falk bei ihm aufkreuzen. Bisher habe er nicht einmal angerufen, aber das müsse gar nichts bedeuten, Falk täte selten das, was man von ihm erwarte.
Luna ist froh über die Gesellschaft der beiden älteren Kommilitonen. Um ein wenig Gegenleistung für das gewährte Asyl zu erbringen, kocht sie eines Mittags für die beiden und Jaron. Anschließend räumt sie auf, putzt Küche und Bad, saugt Staub, während Jaron den Müll zu den Tonnen im Keller bringt. Als er wieder oben ist, wirkt er blass und seine Bewegungen fahrig. In der Hand hält er einen Stapel Briefe, er habe den Postboten im Hausflur getroffen, sagt er, legt zwei Kuverts auf den Esstisch, behält einen großen, gefütterten in der Hand.
»Was ist damit?«, fragt Luna alarmiert, blickt darauf, liest ihren Namen. Im selben Moment klingelt es an der Haustür, Natascha will schon zur Gegensprechanlage eilen, doch Jaron
Weitere Kostenlose Bücher